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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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schießen, wobei er gelegentlich das Stativ an eine andere Stelle rückte oder das Objektiv wechselte. Die ganze Zeit über blieb der Reporter in unmittelbarer Nähe, schaute Pedro über die Schulter und beriet sich mit ihm.
    »Meine Herren«, sagte ich nach einer Weile, »es ist doch wohl nur recht und billig, wenn ich wissen möchte...«
    »Bitte, Mr. Ryder«, sagte Pedro und sprang hinter der Kamera hervor. »Ihre Krawatte!«
    Die Krawatte war mir über die Schulter geweht. Ich richtete sie und benutzte die Gelegenheit, mir die Haare glattzustreichen.
    »Mr. Ryder«, rief Pedro, »könnten wir bitte ein paar Aufnahmen machen, während Sie die Hand so hochhalten! Ja, ja! Als ob Sie jemanden zu dem Haus führen wollten. Ja, das ist es, genau das ist es. Aber bitte, Sie müssen voller Stolz lächeln. Ganz voller Stolz, als wäre das Haus Ihr Baby. Ja, genau das ist es. Ja, Sie sehen großartig aus.«
    Ich befolgte die Anweisungen, so gut ich konnte, obwohl die kräftigen Windstöße es erschwerten, einen angemessen höflichen Gesichtsausdruck zu wahren.
    Dann bemerkte ich eine Gestalt zu meiner Linken. Ich hatte den Eindruck, daß es sich um einen dicht an der Mauer stehenden Mann in einem dunklen Mantel handelte, doch in dem Augenblick mußte ich gerade eine Pose halten und sah ihn nur aus den Augenwinkeln heraus. Pedro rief mir durch den Wind immer weitere Anweisungen zu – ich sollte mein Kinn eine Idee zur Seite drehen, breiter lächeln -, und es schien eine ganze Weile zu vergehen, ehe ich Gelegenheit hatte, mich umzudrehen und die Gestalt zu betrachten. Als ich das dann tat, setzte sich der Mann – er war groß und stocksteif, hatte eine Glatze und knochige Züge – sofort in Bewegung und kam auf mich zu. Er hielt seinen Regenmantel fest um sich gewickelt, doch als er näher kam, streckte er die Hand aus.
    »Mr. Ryder, guten Tag. Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen.«
    »Ach ja«, sagte ich und musterte ihn eingehend. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr.... äh...?«
    Der stocksteife Mann sah verblüfft aus. Dann sagte er: »Christoff. Ich bin Christoff.«
    »Ach, Mr. Christoff.« Ein besonders kräftiger Windstoß machte es erforderlich, daß wir uns ein paar Sekunden lang mit aller Kraft festhielten, und das ermöglichte es mir, mich wieder zu besinnen. »Ach ja, Mr. Christoff. Natürlich. Ich habe schon so viel von Ihnen gehört.«
    »Darf ich sagen, Mr. Ryder«, sagte Christoff und beugte sich zu mir, »wie dankbar ich Ihnen bin, daß Sie sich bereit erklärt haben, an diesem Mittagessen teilzunehmen. Ich weiß ja, wie entgegenkommend Sie sind, und war deshalb absolut nicht überrascht, als Sie zugesagt hatten. Sehen Sie, ich wußte ja, daß Sie ein Mensch sind, der uns fairerweise wenigstens anhören würde. Ein Mensch, der sogar sehr interessiert daran sein würde, unsere Sicht der Dinge kennenzulernen. Nein, ich war absolut nicht überrascht, aber ich bin trotzdem unendlich dankbar. Also dann« – er schaute auf die Uhr -, »wir sind ein bißchen spät dran, aber das ist nicht weiter schlimm. Der Verkehr dürfte jetzt nicht mehr so stark sein. Hier entlang, bitte.«
    Ich folgte Christoff hinten um das weiße Gebäude herum. Hier war der Wind nicht so heftig, und aus einem komplizierten Rohrleitungssystem, das sich aus dem Mauerwerk ergoß, war ein leises, brummendes Geräusch zu vernehmen. Christoff ging mir weiter voran auf einen Punkt am Rand des Hügels zu, den zwei hölzerne Pfosten markierten. Ich stellte mir vor, daß es jenseits dieser beiden Pfosten steil abwärts gehen würde, doch als wir an der Stelle waren, schaute ich hinunter und sah einen langen Treppenlauf mit wackeligen Steinstufen, die schwindelerregend den Hügel hinunterführten. Tief unten trafen die Stufen auf eine gepflasterte Straße, und dort erkannte ich die Umrisse eines schwarzen Autos, das höchstwahrscheinlich auf uns wartete.
    »Nach Ihnen, Mr. Ryder«, sagte Christoff. »Bitte gehen Sie in dem Tempo hinunter, das Ihnen beliebt. Es gibt keinen Grund zur Eile.«
    Dennoch bemerkte ich, daß er wieder nervös auf die Uhr schaute.
    »Tut mir sehr leid, daß wir so spät dran sind«, sagte ich. »Das mit den Fotos hat etwas länger gedauert, als ich gedacht hatte.«
    »Machen Sie sich darüber bitte keine Gedanken, Mr. Ryder. Wir werden ganz bestimmt rechtzeitig ankommen. Bitte, nach Ihnen.«
    Mir wurde ein wenig schwindlig, als ich die ersten Stufen hinunterstieg. Weder rechts noch links gab es ein Geländer, und ich

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