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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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gesprochen hatte, saß direkt hinter uns. Die Rückenlehnen der Sitze waren so hoch, daß ich ihn nicht deutlich sehen konnte, obwohl ich mir in dem Versuch, nach hinten zu schauen, den Hals verrenkte. Jedenfalls bedankte ich mich bei ihm für seinen Vorschlag – er meinte es offensichtlich gut – und fing an zu erklären, welche besondere Bewandtnis es mit unserem Besuch beim künstlichen See hatte. Ich hatte nicht vorgehabt, zu sehr ins Detail zu gehen, aber als ich erst einmal angefangen hatte, merkte ich, daß etwas an der gastlichen Atmosphäre um uns herum mich nötigte fortzufahren. Tatsächlich war ich recht zufrieden mit dem Ton, den ich zufällig angeschlagen hatte und der sich zwischen Ernst und Scherzhaftigkeit bewegte. Darüber hinaus entnahm ich dem von hinten kommenden mitfühlenden Gemurmel, daß der Mann aufmerksam und teilnahmsvoll zuhörte. Jedenfalls ergab es sich, daß ich bald schon die Sache mit der Nummer Neun und auch den Grund dafür erklärte, daß diese Nummer Neun etwas so Besonderes war. Ich erzählte gerade, wie es gekommen war, daß Boris ihn in der Schachtel zurückgelassen hatte, als der Mann mich mit einem höflichen Räuspern unterbrach.
    »Entschuldigen Sie«, sagte er, »aber ein Ausflug dieser Art ist beinahe unweigerlich ein wenig problematisch. Das ist vollkommen normal. Aber wenn ich so sagen darf, ich glaube wirklich, daß Sie allen Grund haben, optimistisch zu sein.« Höchstwahrscheinlich hatte er sich aus seinem Sitz nach vorn gelehnt, denn seine Stimme, die ruhig und besänftigend war, kam von einer Stelle genau dort, wo die Schulter von Boris die meine berührte. »Ich bin sicher, Sie werden diese Nummer Neun finden. Natürlich machen Sie sich jetzt Sorgen. So vieles hätte schiefgehen können, denken Sie. Das ist nur normal. Aber nach allem, was Sie mir gerade erzählt haben, bin ich sicher, es wird alles gutgehen. Natürlich, wenn Sie an die Tür klopfen, werden die neuen Bewohner zunächst wohl gar nicht wissen, wer Sie sind, und werden etwas mißtrauisch sein. Aber wenn Sie erst einmal alles erklärt haben, werden die Leute Sie ganz bestimmt hineinbitten. Wenn es die Frau ist, die Ihnen die Tür öffnet, wird sie sagen: ›Ach, endlich! Wir haben uns schon gefragt, wann Sie einmal kommen würden.‹ Ja, das sagt sie ganz bestimmt. Und sie wird sich umdrehen und ihrem Mann zurufen: ›Da ist der kleine Junge, der früher hier gewohnt hat!‹ Und dann wird der Ehemann herauskommen, er ist bestimmt ein sehr freundlicher Mann, vielleicht ist er gerade dabei, die Wohnung zu renovieren. Und er wird sagen: ›Na also, endlich. Kommen Sie herein und trinken Sie Tee mit uns.‹ Und er wird Sie ins Wohnzimmer führen, während seine Frau sich schnell in die Küche begibt, um sich um die Erfrischungen zu kümmern. Und Ihnen wird sofort auffallen, was sich alles in der Wohnung verändert hat, seit Sie dort gewohnt haben, und der Ehemann wird das merken, und zuerst wird er das Bedürfnis haben, sich dafür zu entschuldigen. Aber wenn Sie erst einmal klargemacht haben, daß Sie über die Art der Veränderungen keineswegs verärgert sind, wird er sicher anfangen, Sie überall herumzuführen, auf diese und jene Veränderung hinweisen, die er zum größten Teil mit eigenen Händen ausgeführt hat und auf die er sehr stolz ist. Und dann wird die Frau mit dem Tee und ein paar kleinen Kuchen, die sie vorbereitet hat, ins Wohnzimmer kommen, und Sie werden sich alle setzen und es sich gutgehen lassen, Sie werden essen und trinken und zuhören, wenn dieses Ehepaar erzählt, wie sehr ihnen beiden Wohnung und Wohnanlage gefallen. Natürlich werden Sie beide die ganze Zeit hauptsächlich an die Nummer Neun denken und auf den richtigen Augenblick warten, den Zweck Ihres Besuches zur Sprache zu bringen. Aber ich nehme an, die beiden werden das Thema als erste ansprechen. Ich nehme an, nachdem sie eine ganze Weile geredet und Tee getrunken haben, wird die Frau dann schließlich sagen: ›Und gibt es da nicht etwas, das Sie jetzt holen möchten? Etwas, das Sie damals hier zurückgelassen haben?‹ Und das ist dann der richtige Zeitpunkt für Sie, diese Nummer Neun und die Schachtel zu erwähnen. Und dann sagt sie ganz bestimmt: ›O ja, die Schachtel haben wir an einem ganz speziellen Platz aufbewahrt. Wir haben uns schon gedacht, daß etwas besonders Wichtiges darin ist.‹ Und noch während sie das sagt, gibt sie ihrem Mann ein kleines Zeichen. Vielleicht nicht einmal ein Zeichen. Eheleute

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