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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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schwenken. Wieder brach inmitten wütender Rufe johlendes Gelächter aus, während man Dr. Lubanskis Stimme hörte, der recht gemütsbewegt appellierte: »Nein, Henri hat jetzt genug! Bitte, bitte! Das reicht jetzt wirklich!«

    Ich gelangte in eine geräumige Küche, die ganz in Weiß gekachelt war. Da war ein starker Essiggeruch, und ich konnte einen flüchtigen Blick auf eine korpulente Frau werfen, die sich über einen glühendheißen Ofen beugte, doch der Mann mit dem Bart hatte den Raum bereits durchschritten und öffnete eine weitere Tür in der entgegengesetzten Ecke der Küche.
    »Hier entlang, bitte«, sagte er und deutete nach draußen.
    Die Tür war merkwürdig hoch und schmal. Tatsächlich war sie so schmal, daß ich sah, ich würde nur hindurchkommen, wenn ich seitwärts ging. Außerdem sah ich, als ich hindurchspähte, nichts als Dunkelheit; da gab es kein Anzeichen dafür, daß ich in irgend etwas anderes als eine Besenkammer schaute. Doch der Mann mit dem Bart machte wieder seine nach draußen deutende Geste und sagte:
    »Achten Sie bitte auf die Stufen, Mr. Ryder.«
    Da sah ich, daß drei Stufen – sie schienen aus hölzernen Kisten gemacht zu sein, die eine über die andere genagelt waren – unmittelbar von der Türschwelle aus in die Höhe führten. Ich zwängte mich durch die Tür und erkletterte vorsichtig die Stufen. Als ich die oberste Stufe erreichte, sah ich vor mir ein kleines helles Rechteck. Zwei Schritte nach vorn brachten mich genau vor dieses Rechteck, und da konnte ich nun durch eine gläserne Trennwand in einen von Sonnenlicht durchfluteten Raum schauen. Ich sah Tische und Stühle, und dann erkannte ich den Raum, in dem ich Boris zuvor gelassen hatte. Da war die mollige junge Kellnerin – ich sah von der Wand hinter der Kuchentheke in den Raum – und hinten in einer Ecke Boris, der mit verärgertem Gesichtsausdruck vor sich hin starrte. Er hatte seinen Käsekuchen aufgegessen und fuhr geistesabwesend mit der Gabel auf dem Tischtuch auf und ab. Abgesehen von einem jungen Paar, das nahe bei den Fenstern saß, waren keine weiteren Gäste im Inneren des Cafés.
    Ich spürte, wie sich mir etwas in die Seite drückte, und merkte, daß sich der Mann mit dem Bart von hinten neben mich gezwängt hatte und jetzt im Dunkeln niederkauerte und rasselnd mit einem Schlüsselbund hantierte. Einen Augenblick später öffnete sich die ganze Trennwand vor mir, und ich trat in das Café.
    Die Kellnerin drehte sich zu mir um und lächelte. Dann rief sie zu Boris hinüber: »Schau mal, wer hier ist!«
    Boris drehte sich zu mir um und verzog das Gesicht. »Wo warst du denn?« fragte er gequält. »Du bist ja Ewigkeiten weggewesen.«
    »Tut mir sehr leid, Boris«, sagte ich. Dann fragte ich die Kellnerin: »Ist er denn auch brav gewesen?«
    »Ach, er ist ein richtiger kleiner Charmeur. Er hat mir alles über die Wohnung erzählt, in der Sie früher gewohnt haben. Auf diesem Gelände an dem künstlichen See.«
    »Ach ja«, erwiderte ich. »Der künstliche See. Ja, dahin wollten wir jetzt gerade gehen.«
    »Aber du bist wirklich Ewigkeiten weggewesen!« sagte Boris. »Jetzt sind wir spät dran!«
    »Tut mir sehr leid, Boris. Aber mach dir keine Sorgen, wir haben immer noch reichlich Zeit. Und die alte Wohnung wird uns ja wohl nicht davonlaufen, oder? Aber du hast natürlich ganz recht, wir sollten uns wirklich jetzt gleich auf den Weg machen. Wollen mal sehen.« Ich drehte mich wieder zu der Kellnerin um, die gerade etwas zu dem Mann mit dem Bart sagte. »Entschuldigung, aber könnten Sie uns vielleicht sagen, wie wir am besten zu diesem künstlichen See kommen?«
    »Der künstliche See?« Die Kellnerin deutete aus dem Fenster hinaus. »Der Bus, der da draußen hält. Der bringt Sie direkt hin.«
    Ich schaute in die angegebene Richtung und sah, daß jenseits der Sonnenschirme des Innenhofes mehr oder weniger direkt vor uns in der geschäftigen Straße ein Bus parkte.
    »Der steht da schon eine ganze Weile«, sagte da die Kellnerin. »Also laufen Sie man lieber los. Ich glaube, der fährt jeden Moment ab.«
    Ich bedankte mich bei ihr, winkte Boris zu mir und trat aus dem Gebäude in das Sonnenlicht hinaus.

FÜNFZEHN
    Wir kletterten in den Bus, als der Fahrer gerade den Motor starten wollte. Als ich die Fahrkarten bei ihm kaufte, sah ich, daß der Bus sehr voll war, und sagte besorgt:
    »Ich hoffe, wir können zusammensitzen, mein Junge und ich.«
    »Oh, machen Sie sich darüber keine Sorgen«, sagte der

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