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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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Fahrer. »Das sind alles ganz prima Leute. Überlassen Sie das nur mir.«
    Damit drehte er sich um und brüllte etwas über die Schulter. Es hatte ein ungewöhnlich ausgelassener Trubel geherrscht, doch auf einmal wurde es im ganzen Bus vollkommen ruhig. Einen Moment später schon standen dann überall Fahrgäste von ihren Sitzen auf, gestikulierten, winkten und berieten sich darüber, wie wir wohl am besten unterzubringen seien. Eine korpulente Frau lehnte sich in den Mittelgang hinaus und rief: »Hierher! Sie können hier sitzen!« Doch eine andere Stimme aus einem anderen Teil des Busses rief: »Wenn Sie einen kleinen Jungen bei sich haben, ist es hier besser, da wird ihm nicht schlecht. Ich setze mich zu Herrn Hartmann hinüber.« Dann schien eine weitere Beratung hinsichtlich unserer Sitzmöglichkeiten einzusetzen.
    »Sehen Sie, das sind alles ganz prima Leute«, sagte der Busfahrer fröhlich. »Neuankömmlingen wird immer ein besonderer Empfang bereitet. Tja dann, wenn Sie sich jetzt gemütlich hinsetzen, sorge ich mal dafür, daß wir von hier wegkommen.«
    Boris und ich beeilten uns, nach hinten zu kommen, wo zwei Fahrgäste im Gang standen und auf unsere Plätze zeigten. Ich ließ Boris an das Fenster und setzte mich genau in dem Moment, als der Bus losfuhr.
    Gleich darauf spürte ich einen Klaps auf der Schulter, und jemand aus der Reihe hinter uns reckte sich herüber, um eine Tüte Bonbons anzubieten.
    »Der Junge hätte vielleicht gern was davon«, ließ sich die Stimme des Mannes vernehmen.
    »Danke«, erwiderte ich. Dann sagte ich lauter in den ganzen Bus hinein: »Danke. Danke, Ihnen allen. Sie sind alle sehr freundlich gewesen.«
    »Guck mal!« Boris klammerte sich aufgeregt an meinen Arm. »Wir fahren auf den Nördlichen Zubringer.«
    Bevor ich noch antworten konnte, erschien eine Frau mittleren Alters neben mir auf dem Gang. Sie klammerte sich an die Kopfstütze meines Sitzes, um ihr Gleichgewicht zu wahren, und hielt uns auf einer Papierserviette ein Stück Kuchen hin.
    »Ein Herr ganz hinten hatte das übrig«, sagte sie. »Er meint, der junge Mann würde das vielleicht mögen.«
    Ich nahm den Kuchen dankend an und bedankte mich auch noch einmal bei den anderen Fahrgästen. Als dann die Frau wieder fortgegangen war, hörte ich eine Stimme einige Sitze weiter weg sagen: »Schön zu sehen, daß ein Vater sich so gut mit seinem Sohn versteht. Da sitzen sie und machen zusammen einen kleinen Ausflug. So etwas sieht man heutzutage bei weitem nicht oft genug.«
    Bei diesen Worten spürte ich eine mächtige Woge des Stolzes und schaute zu Boris. Vielleicht hatte auch er die Worte gehört, denn das Lächeln, das er mir schenkte, war mehr als nur leicht verschwörerisch.
    »Also, Boris«, fragte ich und gab ihm den Kuchen. »Ist das nicht ein herrlicher Bus? Das Warten hat sich doch gelohnt, findest du nicht?«
    Boris lächelte wieder, aber inzwischen musterte er aufmerksam seinen Kuchen und sagte kein Wort.
    »Also, Boris«, fuhr ich fort, »ich wollte dir das eigentlich schon lange mal sagen. Weil du dich das vielleicht manchmal fragst. Siehst du, Boris, ich könnte mir wirklich nichts Besseres wünschen...«, ich lachte plötzlich auf. »Das hört sich bestimmt blöd an, was ich da zusammenrede. Ich wollte sagen, ich bin sehr glücklich. Wegen dir. Sehr glücklich, daß wir zusammen sind.« Ich lachte noch einmal auf. »Macht dir diese Busfahrt nicht auch Spaß?«
    Boris nickte, den Mund hatte er voller Kuchen. »Das ist in Ordnung«, sagte er.
    »Mir gefällt es jedenfalls. Und was für nette Leute.«
    Hinten im Bus hatten ein paar Fahrgäste angefangen zu singen. Ich fühlte mich völlig entspannt und sank noch tiefer in meinen Sitz. Draußen hatte sich der Himmel wieder bewölkt. Wir befanden uns immer noch in geschlossener Ortschaft, doch während ich hinausschaute, sah ich zwei Straßenschilder vorübergleiten, eines nach dem anderen, und darauf war zu lesen: »Nördlicher Zubringer«.
    »Entschuldigung«, hörte ich die Stimme eines Mannes irgendwo hinter uns. »Aber ich habe Sie vorhin zu dem Fahrer sagen hören, daß Sie zu dem künstlichen See wollen. Ich hoffe, da draußen ist es für Sie beide jetzt nicht zu kühl. Wenn Sie einfach nur zu einem netten Platz wollen, um da den Nachmittag zu verbringen, rate ich Ihnen, ein paar Stationen früher beim Maria-Christina-Park auszusteigen. Da gibt es einen Teich zum Kanufahren, das könnte dem jungen Mann vielleicht gefallen.«
    Der Mann, der da

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