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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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jeden Tag einen ziemlich weiten Weg zurückzulegen, aber er sagt, er denkt nicht einmal im Traum daran, hierher in die Nähe umzuziehen. Und das kann ich ihm auch gar nicht verdenken, es ist so schön da draußen. Aber da plaudere ich einfach drauflos, und Sie sind doch so in Eile. Tut mit wirklich leid. Wie gesagt, wenn Sie einfach dem roten Wagen folgen, ist das auf jeden Fall am einfachsten. Ich bin sicher, die Galerie Karwinsky wird Ihnen gefallen. So eine schöne Gegend, und die Galerie selbst, na ja, ich habe gehört, es soll ein paar herrliche Stücke dort geben.«
    Ich bedankte mich knapp und ging zum Auto zurück. Als ich mich erneut hinter das Lenkrad setzte, waren Sophie und Boris wieder in den Anblick des Sonnenuntergangs vertieft. Ohne ein Wort zu sagen, ließ ich den Motor an. Erst als wir an dem Holzhäuschen vorbeirumpelten – ich warf dem Parkplatzwächter noch schnell einen Blick zu -, fragte Sophie: »Also weißt du jetzt, wie du fahren mußt?«
    »Ja, ja. Wir folgen einfach dem roten Wagen, der vorhin gerade weggefahren ist.«
    Als ich das sagte, wurde mir bewußt, wie wütend ich immer noch auf sie war. Doch ich sagte weiter nichts und lenkte den Wagen auf die Straße, die um den äußeren Rand des Geländes herumführte.
    Wir ließen Wohnblock um Wohnblock hinter uns, der Sonnenuntergang spiegelte sich in den zahllosen Fensterscheiben. Dann verschwand die Wohnanlage, und die kleine Straße ging in eine breite Landstraße über, die auf beiden Seiten von Kiefernwäldern gesäumt wurde. Die Straße war praktisch leer und bot ungehinderte Sicht, und bald schon konnte ich den roten Wagen vor uns sehen, als kleinen Punkt in der Ferne, der sich gemächlich voranbewegte. Bei dem wenigen Verkehr sah ich keinen Grund, allzu dicht aufzufahren, und so verringerte auch ich die Geschwindigkeit und ließ eine respektvolle Distanz zwischen uns. Während der ganzen Zeit hatten sowohl Sophie als auch Boris still und verträumt dagesessen, und auch ich geriet allmählich in eine ruhige, eingelullte Stimmung und schaute zu, wie die Sonne über der menschenleeren Landstraße unterging.
    Nach einer Weile wurde mir bewußt, daß ich in Gedanken noch einmal das zweite Tor durchspielte, das die holländische Mannschaft vor einigen Jahren im Halbfinale der Fußballweltmeisterschaft erzielt hatte. Es war ein beeindruckender Schuß aus großer Entfernung gewesen, und es war schon seit langem eine meiner liebsten Erinnerungen an ein Sportereignis, doch jetzt mußte ich zu meinem großen Ärger feststellen, daß ich vergessen hatte, wer der Torschütze gewesen war. Der Name Rensenbrink schoß mir durch den Kopf, und ganz bestimmt war er in dem Spiel dabeigewesen, doch am Ende war ich sicher, daß er nicht der Torschütze gewesen war. Ich sah den Ball wieder durch das Sonnenlicht schießen, vorbei an den merkwürdig erstarrten Verteidigern, sah ihn weiter und immer weiter fliegen, an der ausgestreckten Hand des Torhüters vorbei. Es war deprimierend, eine solche Einzelheit vergessen zu haben, und systematisch ging ich die Namen aller holländischen Fußballspieler durch, die mir aus der Zeit einfielen, als Boris plötzlich hinter mir sagte:
    »Wir sind zu dicht an der Straßenmitte. Wir werden noch mit jemandem zusammenstoßen.«
    »Ach, Unsinn«, sagte ich. »Wir fahren genau richtig.«
    »Nein, tun wir nicht!« Ich spürte, wie er von hinten gegen meinen Sitz schlug. »Wir sind zu dicht an der Straßenmitte. Wenn auf der Gegenspur einer kommt, werden wir mit ihm zusammenstoßen!«
    Ich sagte nichts, sondern lenkte den Wagen ein wenig mehr in Richtung Straßenrand. Das schien Boris zu beruhigen, und er schwieg wieder. Dann sagte Sophie:
    »Weißt du, um ganz ehrlich zu sein, ich war gar nicht sehr glücklich, als ich das gehört habe. Das mit dem Empfang, meine ich. Ich habe gedacht, das würde uns um unseren gemeinsamen Abend bringen. Aber als ich dann noch etwas darüber nachgedacht habe, vor allem, als ich dann einsah, daß wir unser Abendessen heute ja trotzdem haben können, tja, da habe ich gedacht, es ist schon gut so. In gewisser Weise ist es genau das, was wir brauchen. Ich bin sicher, ich schaffe das heute abend, und Boris auch. Wir werden es beide schaffen, und dann haben wir etwas, das wir feiern können, wenn wir zurückkommen. Dieser ganze Abend könnte für uns alles besiegeln.«
    Noch bevor ich darauf etwas erwidern konnte, schrie Boris wieder:
    »Wir sind viel zu dicht an der Straßenmitte!«
    »Noch

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