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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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trat. »Du bist ja Ewigkeiten da drin gewesen«, sagte er.
    »Ja, tut mir leid. Wir sollten jetzt wohl hineingehen.«
    »Einen Moment noch«, murmelte Sophie zerstreut und blieb über den Spiegel gebeugt stehen.
    »Ich kriege allmählich Hunger«, sagte Boris zu mir. »Wann fahren wir denn wieder heim?«
    »Keine Sorge, wir werden nicht lange bleiben. All diese Leute warten da drinnen auf uns, also gehen wir jetzt einfach hinein und sagen guten Abend. Aber wir werden bald wieder gehen. Dann fahren wir nach Hause und machen uns einen schönen Abend. Nur wir drei.«
    »Können wir Warlord spielen?«
    »Natürlich«, erwiderte ich und freute mich, daß der Junge unseren Wortwechsel von vorhin vergessen zu haben schien. »Oder was immer du magst. Selbst wenn wir mit einem Spiel anfangen und du mittendrin aufhören und etwas anderes spielen willst, weil es dir langweilig ist oder du dabei bist zu verlieren, mir soll das recht sein, Boris. Heute abend spielen wir einfach das, was dir am liebsten ist. Und wenn du gar nicht mehr spielen und nur eine Weile reden willst, über Fußball zum Beispiel, dann machen wir das. Es wird ein toller Abend, nur wir drei ganz allein. Aber erst wollen wir da hineingehen und das hinter uns bringen. Es wird schon nicht so schlimm werden.«
    »Also schön, ich bin soweit«, kündigte Sophie an, doch dann beugte sie sich noch ein letztes Mal zu dem Spiegel hinunter.
    Durch einen Steinbogen gelangten wir in einen Innenhof. Als wir auf die Vordertür zugingen, sagte Sophie: »Inzwischen freue ich mich richtig darauf. Ich bin sicher, es wird alles gutgehen.«
    »Schön«, antwortete ich. »Entspann dich einfach und sei du selbst. Das wird schon alles werden.«

NEUNZEHN
    Die Tür wurde von einem stämmigen Dienstmädchen geöffnet. Als wir in den weitläufigen Flur traten, murmelte sie:
    »Schön, Sie wiederzusehen.«
    Erst als ich sie das sagen hörte, wurde mir bewußt, daß ich schon einmal in dem Haus gewesen war – ja, daß es dasselbe Haus war, in das Hoffman mich am Abend zuvor gebracht hatte.
    »Ach ja«, erwiderte ich und schaute auf die Wände mit der Eichenholztäfelung, »es ist schön, wieder einmal hier zu sein. Diesmal habe ich, wie Sie sehen, meine Familie mitgebracht.«
    Die Frau sagte darauf nichts. Das mochte an einer gewissen Ehrfurcht mir gegenüber liegen, aber als ich einen kurzen Blick auf sie warf, wie sie da mürrisch bei der Tür stand, konnte ich nicht umhin, eine gewisse Feindseligkeit zu spüren. Und da sah ich dann, daß mir von einer Reihe von Zeitschriften und Zeitungen auf einem runden Holztisch neben dem Schirmständer mein Gesicht entgegenstarrte. Ich ging zu dem Tisch und zog hervor, was ich als die Abendausgabe der Regionalzeitung erkannte, deren ganze Titelseite ein Foto von mir einnahm – das offensichtlich auf einem windgepeitschten Feld aufgenommen worden war. Dann entdeckte ich das weiße Gebäude im Hintergrund und erinnerte mich an den Fototermin vom Vormittag auf diesem Hügel. Ich nahm die Zeitung mit zu einer Lampe hinüber und hielt das Foto unter das gelbliche Licht.
    Der starke Wind hatte mir das Haar nach hinten geweht. Meine Krawatte flatterte steif hinter dem einen Ohr. Auch meine Jacke bauschte sich hinter mir, so daß es aussah, als trüge ich ein Cape. Noch erstaunlicher aber war die Tatsache, daß meine Gesichtszüge einen Ausdruck ungezügelter Wildheit erkennen ließen. Meine Faust war in den Wind gereckt, und ich schien dabei, eine Art Kriegsgeschrei von mir zu geben. Ich konnte beim besten Willen nicht begreifen, wie eine solche Pose hatte zustande kommen können. Die Überschrift – sonst gab es keinerlei Text auf der ganzen Titelseite – verkündete: »RYDERS RUF NACH UNTERSTÜTZUNG«.
    Leicht nervös öffnete ich die Zeitung und fand eine Auswahl von sechs oder sieben kleineren Fotos vor, alles Varianten des Fotos auf der Titelseite. Meine kriegerische Haltung war überall offensichtlich, nur auf zwei Bildern nicht. Auf diesen beiden Fotos schien ich voller Stolz das Gebäude hinter mir zu präsentieren, und dabei trug ich ein merkwürdiges Lächeln zur Schau, bei dem die Zähne im Unterkiefer, jedoch kein einziger Zahn im Oberkiefer sichtbar waren. Ich überflog die Spalten unter den Fotos und entdeckte wiederholte Anspielungen auf einen Mann namens Max Sattler.
    Ich hätte die Zeitung noch länger studiert, doch da ich den Verdacht hatte, die Feindseligkeit des Dienstmädchens stehe mit ebendiesen Fotos in Zusammenhang, fühlte

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