Die Ungetroesteten
daß Gustav neben mir herging und wahrscheinlich regelrecht darauf brannte, mit seinen Dankesbezeugungen an mich zum Ende zu kommen, doch ich machte trotzdem mit meiner kleinen Ansprache weiter.
»Ja, ja. ›Eine kleine, aber interessante Angelegenheit‹, könnte ich zu ihnen sagen. ›Da gibt es etwas, das ich, nachdem ich viele andere Städte in der Welt besucht habe, hier doch ein wenig eigentümlich finde …‹ – ›Eigentümlich‹ geht vielleicht etwas zu weit. Vielleicht könnte ich ›exzentrisch‹ sagen.«
»Ach ja, Mr. Ryder«, fiel Gustav ein. »›Exzentrisch‹ ist wirklich ein schönes Wort. Keiner von uns will, daß irgendwelche Feindseligkeit aufkommt. Aber genau deshalb sind Sie für uns eine einzigartige Chance. Sehen Sie, selbst wenn in ein paar Jahren noch einmal eine andere Berühmtheit bereit ist, zu uns in die Stadt zu kommen, und selbst wenn es uns gelingt, denjenigen welchen zu überreden, ein paar Worte in unserer Sache zu sagen, wie stehen dann unsere Chancen, daß er Ihre Art Taktgefühl hat, Mr. Ryder? ›Exzentrisch‹ ist der ideale Ausdruck dafür, Mr. Ryder.«
»Ja, ja«, fuhr ich fort, »und dann halte ich vielleicht einen Augenblick inne und schaue sie mit einer Miene milden Vorwurfs an, so daß alle, sie alle dort im Saal, ganz still werden und warten. Dann könnte ich schließlich etwa folgendes sagen, tja, lassen Sie mich mal sehen, ich könnte sagen: ›Meine Damen und Herren, Ihnen allen, die Sie hier schon so lange leben, erscheinen gewisse Dinge inzwischen wohl normal, gewisse Dinge, die ein Außenstehender sicher sofort als auffällig wahrnehmen würde...«
Plötzlich blieb Gustav stehen. Zuerst dachte ich, sein Drang, mir seine Dankbarkeit zu bekunden, habe ihn überwältigt. Doch dann sah ich zu ihm hin und merkte, daß dies nicht der Fall war. Er stand wie erstarrt auf dem Bürgersteig, der Kopf war ihm zur Seite auf den Karton gerutscht, so daß sich seine Wange gegen die eine Kante des Kartons preßte. Seine Augen waren fest geschlossen, und er runzelte leicht die Stirn, als habe er eine komplizierte Rechenaufgabe zu bewältigen. Dann sah ich, daß sich sein Adamsapfel langsam die Kehle auf und ab bewegte – einmal, zweimal, dreimal.
»Geht es Ihnen gut?« fragte ich und legte einen Arm um ihn. »Du meine Güte, Sie sollten sich lieber irgendwo hinsetzen.«
Ich war im Begriff, ihm den Karton abzunehmen, aber Gustavs Hände lockerten ihren Griff nicht.
»Nein, nein, Mr. Ryder«, sagte er, die Augen hatte er immer noch geschlossen. »Mir geht es gut.«
»Sind Sie sicher?«
»Ja, ja. Mir geht es wirklich gut.«
Einen Moment lang blieb er noch ganz still stehen. Dann öffnete er die Augen und schaute sich um, lachte leise auf und setzte sich wieder in Bewegung.
»Sie können sich gar nicht vorstellen, was uns das bedeutet, Mr. Ryder«, sagte er, nachdem wir noch ein paar Schritte gegangen waren. »Und das nach all diesen Jahren.« Lächelnd schüttelte er den Kopf. »So bald wie nur irgend möglich werde ich den Jungs die Neuigkeit mitteilen. Heute vormittag ist wirklich viel zu tun, aber ein Anruf bei Josef wird genügen. Er wird den anderen Bescheid geben. Haben Sie eine Ahnung, was ihnen das bedeutet? Ach, hier müssen Sie jetzt abbiegen. Ich muß noch ein Stück weiter hier entlang. Oh, machen Sie sich keine Sorgen, Mr. Ryder, mir geht es wirklich gut. Sie wissen ja, die Wohnung von Miss Collins ist gleich da auf der rechten Seite. Also, Mr. Ryder, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin. Die Jungs werden dem heutigen Abend entgegenfiebern, wie sie sonst kaum etwas in ihrem Leben entgegengefiebert haben. Da bin ich mir sicher.«
Ich wünschte ihm einen guten Tag und bog in die Straße ab, die er mir gezeigt hatte. Als ich nach ein paar Schritten über die Schulter zurücksah, stand Gustav immer noch an der Ecke und beobachtete mich von hinter seinem Karton. Als er sah, daß ich mich umdrehen wollte, nickte er heftig – der Karton hinderte ihn daran zu winken -, dann ging er weiter seines Weges.
In der Straße, in der ich mich befand, standen hauptsächlich Wohnhäuser. Nach ein paar Blocks wurde es ruhiger, und über mir erhoben sich Mehrfamilienhäuser mit Balkonen im spanischen Stil, die ich von dem Abend neulich erkannte, als ich in Stephans Wagen durch die Straße gefahren war. Die Häuser zogen sich Block für Block hin, und als ich weiterging, fürchtete ich allmählich, ich könne das Haus nicht mehr erkennen, vor dem Boris
Weitere Kostenlose Bücher