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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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Problemen, zu denen ich Sie um Ihren Rat bitten wollte, bevor... bevor ich die endgültige Fassung« – ich schwieg und versuchte, meine schwankende Stimme unter Kontrolle zu bekommen -, »bevor ich die endgültige Fassung meiner Rede zu Papier bringe. Schließlich verlassen sich all diese Leute so sehr auf mich...«
    »Mr. Ryder, Mr. Ryder« – Miss Collins hatte mir die Hand auf die Schulter gelegt -, »bitte beruhigen Sie sich. Und kommen Sie doch bitte herein. So ist es gut, kommen Sie nur herein. Und jetzt hören Sie bitte auf, sich Sorgen zu machen. Es ist vollkommen verständlich, daß Sie in dieser Phase etwas aufgeregt sind, das ist völlig normal. Tatsächlich ist es sogar höchst lobenswert, daß Sie sich solche Gedanken machen. Über all diese Angelegenheiten, diese hiesigen Probleme, können wir gleich reden, immer mit der Ruhe, das tun wir sofort. Aber lassen Sie mich jetzt nur soviel sagen, Mr. Ryder. Ich glaube, Sie machen sich unnötig Sorgen. Es stimmt schon, auf Ihren Schultern ruht heute abend eine große Verantwortung, aber in einer ähnlichen Situation sind Sie doch schon viele, viele Male zuvor gewesen, und nach allem, was man so hört, haben Sie sich doch jedesmal höchst achtbar geschlagen. Warum sollte es diesmal denn anders sein?«
    »Aber Miss Collins, was ich Ihnen damit sagen will, ist«, sagte ich, indem ich sie unterbrach, »daß es diesmal wirklich vollkommen anders ist. Diesmal habe ich mich um all diese Dinge nicht so...« Ich seufzte wieder schwer. »Tatsache ist, ich hatte keine Gelegenheit, mich auf die übliche Weise vorzubereiten.«
    »Darüber reden wir gleich. Aber ich bin sicher, Mr. Ryder, daß Sie einfach nur das rechte Augenmaß verloren haben. Worum könnten Sie sich denn schon solche Sorgen machen? Sie verfügen über ein unvergleichliches Wissen, Sie sind ein Mann mit international anerkanntem Talent, also mal ehrlich, was hätten Sie schon zu befürchten? Die Wahrheit ist doch« – wieder senkte sie die Stimme -, »daß die Leute in einer Stadt wie dieser wirklich für alles dankbar sein würden, was von Ihnen kommt. Erzählen Sie ihnen einfach etwas über Ihre allgemeinen Eindrücke, sie werden sich schon nicht beklagen. Sie brauchen sich wirklich vor nichts zu fürchten.«
    Ich nickte und sah ein, daß sie da wirklich ein gutes Argument vorgebracht hatte, und fast sofort spürte ich, wie eine Anspannung von mir genommen wurde.
    »Aber darüber werden wir gleich in aller Ausführlichkeit reden.« Miss Collins, die ihre Hand immer noch auf meiner Schulter hatte, führte mich in den Salon, der nach vorn hinausging. »Es wird bestimmt nicht mehr lange dauern. Bitte setzen Sie sich doch und machen Sie es sich bequem.«
    Ich betrat ein sonnendurchflutetes rechteckiges Zimmerchen voller Blumen. Die Ansammlung von nicht zusammenpassenden Stühlen ließ, wie auch die Zeitschriften auf dem Couchtisch, auf das Wartezimmer eines Arztes schließen. Beim Anblick von Miss Collins erhob sich der stämmige Mann sofort, sei es aus Höflichkeit, sei es, weil er hoffte, sie würde ihn jetzt in den Salon bitten. Ich rechnete damit, vorgestellt zu werden, doch die herrschenden Umgangsformen waren tatsächlich die eines Wartezimmers, denn Miss Collins schenkte dem Mann lediglich ein Lächeln, bevor sie durch eine zweite Tür verschwand und dabei eine offensichtlich an uns beide gerichtete Entschuldigung murmelte: »Es wird bestimmt nicht lange dauern.«
    Der stämmige Mann setzte sich wieder und starrte auf den Boden. Einen Moment lang glaubte ich, er wolle etwas sagen, doch als er weiterhin schwieg, drehte ich um und setzte mich auf ein Korbsofa, das den sonnendurchfluteten Erker einnahm, durch dessen Fenster ich vorhin hineingeschaut hatte. Das Korbgeflecht knackte beruhigend, als ich mich zurechtsetzte. Ein breiter Streifen Sonnenlicht fiel mir über den Schoß, und nahe bei meinem Gesicht befand sich eine große Vase mit Tulpen. Sofort fühlte ich mich sehr behaglich, und im Gegensatz zu dem Zeitpunkt vor ein paar Minuten, als ich an der Haustür geklingelt hatte, dachte ich jetzt auch ganz anders über das, was noch vor mir lag. Natürlich hatte Miss Collins völlig recht. Eine Stadt wie diese wäre dankbar für praktisch alles, was ich zu bieten hätte. Es war kaum denkbar, daß diese Leute meine Argumente allzu intensiv prüfen oder aber allzu anspruchsvoll sein würden. Und wie Miss Collins ja auch schon so richtig bemerkt hatte, war ich bereits unzählige Male in solchen

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