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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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Jungen aus den anderen herauszuhören, und obwohl er sich diesmal nicht umdrehte, um Boris zu zeigen, daß er den Zuruf erkannt hatte – er tat so, als sei er für so etwas viel zu sehr von seinen Koffern in Anspruch genommen -, war eine neue Lebhaftigkeit in seinen Bewegungen festzustellen. Er fing wieder an, sich langsam zu drehen und zu wenden, und sein Rücken ließ nicht einmal mehr die geringste Spur einer gekrümmten Haltung erkennen. Einen Moment lang sah Gustav geradezu prachtvoll aus, wie er dort statuengleich auf dem Tisch stand, den einen Koffer auf der Schulter, den anderen auf der Hüfte, und sich zu dem Klatschen und der Musik um die eigene Achse drehte. Dann schien er zu straucheln, doch sofort riß er sich wieder hoch, und angesichts dieser Variante gab die Menge ein »Ahh!« und noch mehr Gelächter von sich.
    Dann wurde sich Boris bewußt, daß es hinter ihm zu einigem Aufruhr gekommen war, und er sah, daß die beiden Kellner wieder da waren und auf dem Boden wieder an etwas herumhantierten, und dabei drängten sie die Menschen zurück, um sich mehr Platz für ihre Arbeit zu verschaffen. Beide Männer knieten und plagten sich mit etwas, das wie eine Golftasche aussah. Ihr Benehmen war grob und ungeduldig – vielleicht ärgerten sie sich darüber, daß die sich um sie scharenden Leute sie ständig mit den Knien anstießen. Boris schaute zu seinem Großvater hoch, und als er sich dann wieder umdrehte, sah er, daß einer der Kellner die Öffnung der Tasche aufhielt, als ob etwas besonders Großes hineingesteckt werden sollte. Und tatsächlich bahnte sich da gerade der andere Kellner seinen Weg durch die Menge, er ging rückwärts, wobei er die Leute barsch zur Seite drängte, und zog einen Gegenstand über den Boden. Boris zwängte sich durch die Menge ein wenig nach hinten und sah, daß es sich um eine Art Maschine handelte. Man konnte es nicht genau sehen – die Beine der Leute waren im Weg -, doch es war irgendein alter Motor, entweder von einem Motorrad oder von einem Rennboot. Die beiden Kellner mühten sich sehr, den Motor in die Golftasche zu bekommen, sie zogen an dem schon ganz straffen Stoff und zerrten an dem Reißverschluß. Boris schaute wieder hoch und sah, daß sein Großvater immer noch mühelos die beiden Koffer balancierte und durch nichts verriet, daß er vielleicht eine Ruhepause brauchte. Die Menge jedenfalls hatte nicht die Absicht, ihm jetzt schon eine Ruhepause zu gönnen. Und dann war Bewegung um ihn, und die beiden Kellner hatten die Golftasche auf den Tisch gehievt.
    Für einen Moment wurde das Stimmengewirr noch lauter, als sich die Nachricht von der Ankunft der Tasche zu den Hintenstehenden verbreitete. Gustav bemerkte die Golftasche nicht sofort, weil er gerade im Augenblick die Augen geschlossen hatte, um sich zu konzentrieren, doch schon bald veranlaßte ihn das Drängen der Menge, sich umzuschauen. Sein Blick blieb an der Golftasche haften, und einen Moment lang sah Gustav sehr ernst aus. Dann lächelte er und drehte sich weiter langsam um die eigene Achse. Dann ließ er, wie zuvor schon einmal, wenn auch bei weitem nicht mit derselben Leichtigkeit, den Koffer von der Schulter und den Arm hinuntergleiten. Während er noch fiel, gelang es Gustav mit äußerster Anstrengung, den Arm so zu heben, daß der Koffer hoch und in die Menge geschleudert wurde. Da er so viel schwerer war als der leere Karton, konnte er kaum einen sauberen Bogen beschreiben, und er schlug auf der Tischkante auf, bevor er von den Hoteldienern vorn am Tisch aufgefangen wurde. Der erste Koffer verschwand, wie auch zuvor schon der Karton, in der Menge, und aller Augen waren auf Gustav gerichtet. Der Singsang mit seinem Namen fing wieder an, und der alte Mann besah sich gründlich die Golftasche zu seinen Füßen. Die vorübergehende Erleichterung, die er empfand, weil er jetzt nur noch einen Koffer trug – wenn der auch mit Holzstücken gefüllt war -, schien ihm neue Kraft zu geben. Aber dann machte er ein langes Gesicht und schüttelte angesichts der Golftasche skeptisch den Kopf, was die Menge nur veranlaßte, ihn noch weiter anzustacheln. »Na komm schon, Gustav, zeig’s ihnen!« hörte Boris den Hoteldiener neben sich rufen.
    Dann versuchte Gustav, sich den schweren Koffer auf die Schulter zu heben, auf der er vorher den leichteren getragen hatte. Das tat er ganz bedächtig, mit geschlossenen Augen, ein Knie hatte er noch auf dem Boden, dann richtete er sich langsam auf. Ein- oder zweimal

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