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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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mich zu ihr, Ryder. Bringen Sie mich jetzt hin.«
    »Mr. Brodsky, ich glaube, Sie begreifen nicht, in welcher Lage Sie sich befinden. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Ich habe dem Chirurgen versprochen, den Kofferraum zu durchsuchen. Ich bin sofort wieder zurück.«
    »Sie hat solche Angst. Aber es ist noch nicht zu spät. Wir könnten ein Haustier haben. Aber daran wollen wir nicht denken, wir wollen jetzt nicht an das Haustier denken. Sie soll nur zum Konzertsaal kommen. Das ist alles, was ich will. Sie soll nur zum Konzertsaal kommen. Das ist alles, was ich will.«
    Ich drehte mich von Brodsky weg und ging zum Wagen hinüber. Ich öffnete den Kofferraum und sah, daß Hoffman ihn unordentlich mit allerlei Zeug vollgestopft hatte. Da waren ein zerbrochener Stuhl, ein Paar Gummistiefel, eine Ansammlung von Plastikdosen. Dann fand ich eine Taschenlampe, und als ich damit den Kofferraum ableuchtete, entdeckte ich in einer Ecke eine kleine Säge. Sie sah ein wenig ölig aus, aber als ich mit einem Finger über die Schneide fuhr, fühlten sich die Zähne scharf genug an. Ich schloß den Kofferraum und ging wieder zu der Stelle hinüber, an der die anderen um den Ofen herum standen und sich unterhielten. Als ich näher kam, hörte ich den Chirurgen sagen:
    »Die Geburtshilfe ist heutzutage ein langweiliges Gebiet. Kein Vergleich mit der Zeit, als ich noch studierte.«
    »Entschuldigung«, sagte ich. »Ich habe das hier gefunden.«
    »Ah«, sagte der Chirurg und drehte sich zu mir um. »Danke. Und Sie haben mit Mr. Brodsky gesprochen? Gut.«
    Plötzlich war ich ärgerlich, weil man mich so tief in die Sache verwickelt hatte, und so sagte ich vielleicht ein wenig gereizt, indem ich auf die Gesichter in der Runde schaute:
    »Hat man denn hier in der Stadt für Fälle wie diesen keine anständigen Vorkehrungen getroffen? Haben Sie nicht gesagt, daß Sie einen Krankenwagen gerufen haben?«
    »Vor ungefähr einer Stunde haben wir nach einem Wagen telefoniert«, meldete sich Geoffrey Saunders zu Wort. »Von der Telefonzelle dort drüben. Unglücklicherweise sind Krankenwagen wegen des großen Ereignisses im Konzertsaal heute abend schwer zu bekommen.«
    Ich schaute zu der Stelle, auf die er gedeutet hatte, und sah, daß sich dort tatsächlich etwas von der Straße zurückversetzt, beinahe schon da, wo der dunkle Wald begann, ein öffentlicher Fernsprecher befand. Beim Anblick der Telefonzelle fiel mir auf einmal die dringende Angelegenheit wieder ein, die ich doch gerade erledigen wollte, und mir ging durch den Kopf, daß ich Sophie, wenn ich sie jetzt anrief, nicht nur schonend vorbereiten, sondern sie auch fragen konnte, wie ich am besten zu ihrer Wohnung käme.
    »Wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen«, sagte ich und drehte mich um. »Ich habe jetzt ein wichtiges Gespräch zu führen.«
    Ich ging auf die Bäume zu und betrat die Telefonzelle. Während ich meine Taschen nach Münzen durchsuchte, sah ich durch die Glaswand die Gestalt des Chirurgen langsam auf den am Boden ausgestreckten Brodsky zugehen, die Säge hielt er taktvoll hinter dem Rücken. Geoffrey Saunders und die anderen gingen nervös im Kreis umher und schauten auf ihre Kaffeetassen oder auf ihre Füße. Dann drehte sich der Chirurg um und sagte etwas zu ihnen, und zwei der Männer, Geoffrey Saunders und ein junger Mann in einer braunen Lederjacke, gesellten sich zögernd zu ihm. Einen Moment lang standen die drei da und schauten verbissen auf Brodsky hinunter.
    Ich drehte mich weg und wählte Sophies Nummer. Das Telefon klingelte eine ganze Weile, und dann kam Sophie an den Apparat; sie klang schläfrig und leicht besorgt. Ich holte tief Luft.
    »Also hör mal«, sagte ich, »du scheinst nicht zu begreifen, was für ein Druck jetzt auf mir lastet. Denkst du etwa, das ist so einfach für mich? Ich habe jetzt nur noch sehr wenig Zeit, und ich hatte immer noch keine Gelegenheit, den Konzertsaal zu inspizieren. Und statt dessen erwarten die Leute, daß ich alle diese anderen Dinge tue. Glaubst du, das heute abend ist einfach für mich? Begreifst du überhaupt, was der heutige Abend bedeutet? Meine Eltern kommen heute abend. Ja, richtig! Endlich kommen sie, heute abend! Womöglich sind sie in diesem Augenblick schon dort! Und sieh nur, was passiert. Bekomme ich vielleicht Gelegenheit, mich vorzubereiten? Nein, ich muß eine Sache nach der anderen erledigen. Diese vermaledeite Frage-und-Antwort-Runde zum Beispiel. Sie haben doch tatsächlich eine

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