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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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aus. Lassen Sie sich nur Zeit.«
    »Danke, danke«, sagte ich, nahm den Kaffee und stürzte ihn gierig hinunter, obwohl er sehr heiß war.
    Der grauhaarige Mann im Anzug hockte sich jetzt vor mich hin und sah mir ins Gesicht, wobei er ganz sanft sagte: »Wir müssen eine Entscheidung treffen. Sie werden uns dabei helfen.«
    »Eine Entscheidung?«
    »Ja. Es geht um Mr. Brodsky.«
    »Ach ja.« Ich nahm noch einen Schluck Kaffee. »Ja, ich weiß. Mir ist klar, daß jetzt alles von mir abhängt.«
    »So weit würde ich nun auch wieder nicht gehen«, sagte der grauhaarige Mann.
    Ich schaute ihn wieder an. Er war ein vertrauenerweckender Mensch mit freundlichem, ruhigem Benehmen. Doch gerade jetzt in diesem Augenblick, das konnte ich sehen, war er sehr ernst.
    »So weit würde ich nun auch wieder nicht gehen und sagen, daß alles von Ihnen abhängt. Es ist nur so, daß wir in Anbetracht der Situation einen Teil der Verantwortung übernehmen müssen. Meine Meinung ist, und das habe ich auch in aller Deutlichkeit gesagt, daß es ab muß.«
    »Es muß ab?«
    Der grauhaarige Mann nickte ernst. Dann sah ich das Stethoskop um seinen Hals, und mir wurde klar, daß er so etwas wie ein Arzt sein mußte.
    »Ach ja«, sagte ich. »Es muß ab. Ja.«
    Da erst schaute ich mich um und sah voller Schrecken auf dem Boden ganz in der Nähe des Wagens ein großes Knäuel aus Metall liegen. Ganz vage kam mir der Gedanke, daß ich diesen Trümmerhaufen verursacht hatte, daß ich möglicherweise in eine Art Unfall verwickelt gewesen war, ohne es zu wissen. Ich stand auf – sofort reckten sich mir mehrere Hände entgegen, um mir zu helfen – und ging zu dem Metallhaufen und sah, daß es sich tatsächlich um die Überreste eines Fahrrads handelte. Das Metall war hoffnungslos verbogen, und zu meinem Entsetzen sah ich Brodsky mitten in den Trümmern. Er lag mit dem Rücken auf dem Boden, und seine Augen beobachteten mich ruhig, als ich mich ihm näherte.
    »Mr. Brodsky«, murmelte ich und starrte ihn an.
    »Ach. Ryder«, sagte er, und dabei lag überraschend wenig Schmerz in seiner Stimme.
    Ich drehte mich zu dem grauhaarigen Mann um, der hinter mir hergekommen war, und sagte zu ihm: »Ich bin sicher, daß ich mit dem hier nichts zu tun habe. Ich habe keinerlei Erinnerung an einen Unfall. Ich bin einfach nur geradeaus gefahren...«
    Der grauhaarige Mann, der verständnisvoll nickte, gab mir mit Zeichen zu verstehen, ich solle ruhig sein. Dann führte er mich ein wenig beiseite und sagte leise: »Wir können fast sicher sein, daß er Selbstmord begehen wollte. Er ist sehr betrunken. Sehr, sehr betrunken.«
    »Ach. Ja.«
    »Ich bin sicher, er wollte Selbstmord begehen. Aber alles, was er erreicht hat, ist, daß seine Beine eingeklemmt sind. Das rechte Bein ist praktisch unverletzt. Es steckt einfach fest. Das linke Bein steckt auch fest. Und dieses linke Bein macht mir Sorgen. Es ist wirklich in keinem sehr guten Zustand.«
    »Nein«, sagte ich und schaute über die Schulter noch einmal zu Brodsky hin. Er schien das zu merken und sagte in die Dunkelheit hinein:
    »Ryder. Hallo.«
    »Bevor Sie kamen, haben wir schon eine ganze Weile darüber diskutiert«, fuhr der grauhaarige Mann fort. »Meine Meinung ist, daß es ab muß. So könnten wir eventuell sein Leben retten. Nach einigem Debattieren hat sich die Mehrheit der Anwesenden dieser Meinung angeschlossen. Wenn auch die beiden Damen dort drüben es anders sehen. Sie sind beide dafür, noch etwas länger auf einen Krankenwagen zu warten. Aber meine Meinung ist, daß wir damit ein ernsthaftes Risiko eingehen. Das ist meine berufliche Meinung.«
    »Ach ja. Ja, ich verstehe, was Sie meinen.«
    »Meiner Ansicht nach muß das linke Bein unverzüglich abgenommen werden. Ich bin Chirurg, aber leider habe ich keinerlei Instrumente bei mir. Keine schmerzstillenden Mittel, nichts. Nicht einmal Aspirin. Wissen Sie, ich war nicht im Dienst, ich bin einfach nur hier herumgegangen, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Genauso wie diese anderen braven Leute hier. Von vorhin hatte ich noch zufällig dieses Stethoskop in der Tasche, aber sonst nichts. Aber nun, da Sie angekommen sind, könnte das die Sachlage ändern. Haben Sie irgendwelches Material im Wagen?«
    »Im Wagen? Also eigentlich, tja, ich weiß nicht. Wissen Sie, ich habe mir den Wagen ausgeliehen.«
    »Sie meinen, es ist ein Mietwagen.«
    »Nein, nicht eigentlich. Ich habe ihn mir ausgeborgt. Von einem Bekannten.«
    »Ach so.« Ernst schaute er auf

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