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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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Ich bin hierhergekommen, dieser gute Mann hier – wo ist er denn? – hat mich in seinem Lieferwagen hierhergefahren. Aber ich wäre auch zu Fuß gekommen, jetzt bin ich eigentlich wieder ganz in Ordnung.«
    »Aber Mr. Brodsky«, sagte ich, »sind Sie denn sicher, es geht Ihnen so gut, daß Sie auf die Bühne können? Schließlich haben Sie einen schrecklichen Unfall gehabt...« Ich hatte das nicht beabsichtigt, aber daß ich dieses Thema erwähnte, hatte nur den Effekt, daß weiteres Geschrei losbrach. Der Chirurg kämpfte sich nach vorn durch, er erhob seine Stimme über die anderen und schlug sich mit der Faust in die Handfläche, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen.
    »Mr. Brodsky, ich bitte Sie! Selbst wenn es nur ein paar Minuten sind, Sie müssen sich jetzt ausruhen!«
    »Mir geht es gut, mir geht es gut, lassen Sie mich in Ruhe!« schrie Brodsky und setzte sich wieder in Bewegung. Als er sich dann zu mir umdrehte – ich war stehengeblieben -, rief er mir zu: »Wenn Sie diesen Hotelpagen sehen, Ryder, sagen Sie ihm, daß ich hier bin! Sagen Sie ihm das. Er hat gedacht, ich würde es nie im Leben bis hierher schaffen, er hat gedacht, ich bin nur ein Stück Scheiße. Sagen Sie ihm, daß ich hier bin. Wollen doch mal sehen, wie ihm das gefällt.« Damit ging er weiter den Korridor hinunter, gefolgt von einer streitenden Menschenschar.

    Ich ging in die entgegengesetzte Richtung weiter und hielt Ausschau nach Hoffman. Es standen jetzt weniger Orchestermitglieder auf dem Korridor herum, und viele Garderobentüren waren mittlerweile geschlossen. Einmal zog ich in Erwägung, zurückzulaufen und etwas gründlicher durch eine der noch offenen Türen zu schauen, als ich vor mir auf dem Korridor Hoffmans Gestalt erblickte.
    Er hatte mir den Rücken zugekehrt und ging mit gesenktem Kopf langsam vorwärts. Obwohl ich zu weit hinten war, um ihn hören zu können, war es offensichtlich, daß er seine Rede übte. Als ich dann näher kam, taumelte er plötzlich vornüber. Ich dachte schon, er würde fallen, doch dann merkte ich, daß er wieder einmal die merkwürdige Bewegung probte, die ich ihn schon vor Brodskys Garderobenspiegel hatte üben sehen. Er beugte sich vor, streckte den Arm mit nach außen ragendem Ellenbogen in die Höhe und fing an, sich mit der Faust vor die Stirn zu schlagen. Er war noch immer mitten in dieser Bewegung, als ich dicht hinter ihn trat und mich räusperte. Hoffman schrak zusammen, richtete sich auf und drehte sich zu mir um.
    »Ach, Mr. Ryder. Bitte, machen Sie sich keine Sorgen. Ich bin sicher, Mr. Brodsky wird jetzt jeden Moment hier eintreffen.«
    »Was Sie nicht sagen, Mr. Hoffman. Sollten Sie übrigens gerade dabeigewesen sein, Ihre Rede zu üben, mit der Sie sich beim Publikum für Mr. Brodskys Nichterscheinen entschuldigen wollen, so freue ich mich sehr, Ihnen mitteilen zu können, daß das nicht nötig sein wird. Mr. Brodsky ist hier.« Ich deutete den Korridor hinunter. »Er ist gerade angekommen.«
    Hoffman sah überrascht aus, und eine Sekunde lang war er völlig erstarrt. Dann faßte er sich und sagte:
    »Ah ja. Gut. Was für eine Erleichterung. Aber dann war ich ja natürlich von Anfang an... war ich ja von Anfang an voller Zuversicht.« Er lachte und schaute den Korridor auf und ab, als hoffte er, Brodsky zu Gesicht zu bekommen. Dann lachte er wieder und sagte: »Tja, dann gehe ich wohl lieber mal und kümmere mich um ihn.«
    »Bevor Sie das tun, Mr. Hoffman, wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich über den neuesten Stand meine Eltern betreffend informieren würden. Sie sind doch inzwischen bestimmt heil hier im Gebäude eingetroffen, oder? Und Ihr Einfall mit Pferd und Kutsche – ich glaube, ich habe die Kutsche gehört, als ich vorhin am Vordereingang vorbeigefahren bin – hat doch sicherlich den Eindruck gemacht, den Sie sich erhofft hatten, oder?«
    »Ihre Eltern?« Hoffman sah wieder verwirrt aus. Dann legte er mir die Hand auf die Schulter und sagte: »Ach ja. Ihre Eltern. Tja, lassen Sie mich mal überlegen.«
    »Mr. Hoffman, ich habe mich darauf verlassen, daß Sie und Ihre Kollegen sich gut um meine Eltern kümmern. Sie sind beide nicht gerade bei bester Gesundheit...«
    »Natürlich, natürlich. Es besteht kein Grund zur Beunruhigung. Es ist nur so, bei all den Dingen, an die ich denken muß, und da Mr. Brodsky sich nun auch noch ein wenig verspätet hat, obwohl Sie mir ja erzählt haben, er ist inzwischen eingetroffen … Haha...« Seine Stimme verlor

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