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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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es tut ihm leid.«
    »Ist das alles? Ist das alles, was er gesagt hat?«
    Einen Augenblick lang spiegelte sich Unsicherheit auf dem Gesicht des Jungen. Dann sagte er beruhigend: »Ich gehe wieder hinein. Er sagt bestimmt noch mehr.«
    »Aber ist das alles, was er dir gerade eben gesagt hat? Daß es ihm leid tut?«
    »Mach dir keine Sorgen. Ich gehe wieder hinein.«
    »Einen Moment noch.« Sophie fing an, das Packpapier aufzureißen, in das der Mantel gewickelt war. »Bring das deinem Großvater. Gib ihm den Mantel. Sieh nach, ob er richtig paßt. Sag ihm, ich kann immer noch einige Änderungen machen.«
    Sie ließ die aufgerissene Verpackung auf den Boden fallen und hielt einen dunkelbraunen Mantel hoch. Boris nahm ihn ohne große Umstände und ging in die Garderobe zurück. Wegen des Mantels vielleicht – er hing dem Jungen sehr sperrig über den Armen – ließ Boris hinter sich die Tür offen, und bald drang Stimmengemurmel auf den Korridor hinaus. Sophie rührte sich nicht vom Fleck, aber ich merkte, daß sie sich anstrengte, wenigstens ein paar Worte aufzuschnappen. Die Hoteldiener hinter uns hielten immer noch respektvoll Abstand, doch ich sah, daß auch sie inzwischen besorgt auf die Tür schauten.
    Ein paar Augenblicke vergingen, dann kam Boris wieder heraus.
    »Großvater bedankt sich bei dir«, sagte er zu Sophie. »Er ist jetzt sehr glücklich. Er sagt, er ist sehr glücklich.«
    »Ist das alles, was er gesagt hat?«
    »Er sagt, er ist glücklich. Vorher hat er sich nicht ganz wohl gefühlt, aber jetzt, da der Mantel gekommen ist – er sagt, das bedeutet ihm sehr viel.« Boris schaute hinter sich, dann wieder zu seiner Mutter. »Er sagt, er ist sehr glücklich damit.«
    »Ist das alles, was er gesagt hat? Nichts darüber... nichts darüber, ob er ihm paßt? Ob ihm die Farbe gefällt?«
    Weil ich in diesem Augenblick Sophie beobachtete, konnte ich nicht genau sehen, was Boris als nächstes tat. Ich hatte den Eindruck, daß er nichts Besonderes machte, sondern einfach nur einen Moment schwieg, während er über eine Antwort auf die Frage seiner Mutter nachdachte. Aber plötzlich rief Sophie:
    »Wieso tust du das?«
    Der Junge starrte sie verblüfft an.
    »Wieso tust du das? Du weißt sehr wohl, was ich meine. Das! Das!« Sie packte Boris bei der Schulter und fing an, ihn heftig zu schütteln. »Ganz der Großvater!« sagte sie und drehte sich zu mir um. »Das macht er ihm nach!« Dann wandte sie sich zu den Hoteldienern, die sie voller Bestürzung anstarrten: »Der Großvater! Von dem hat er das. Seht ihr, was er da mit der Schulter macht? So blasiert, so selbstgefällig. Seht ihr das? Ganz der Großvater!« Sie starrte Boris an und schüttelte ihn immer weiter. »So, du hältst dich also für besonders großartig, was? Habe ich recht?«
    Boris riß sich los und stolperte ein paar Schritte zurück.
    »Hast du das gesehen?« fragte mich Sophie. »Wie er das immer macht. Ganz der Großvater.«
    Boris ging noch ein paar Schritte zurück, noch weiter weg von uns. Dann bückte er sich nach seiner schwarzen Arzttasche und hielt sie sich schützend vor die Brust. Ich dachte, er würde jeden Moment in Tränen ausbrechen, doch im letzten Augenblick gelang es ihm, sich zu beherrschen.
    »Mach dir keine Sorgen...«, fing er an, dann schwieg er und hielt sich die schwarze Tasche noch höher vor die Brust. »Mach dir keine Sorgen. Ich werde... ich werde...« Er gab auf und schaute sich um. Die Tür des Nebenraumes war nur ein kleines Stückchen hinter dem Jungen, und schnell drehte er sich um und verschwand in dem Raum, die Tür schlug er hinter sich zu.
    »Bist du wahnsinnig?« fragte ich Sophie. »Er ist so schon aufgeregt genug.«
    Sophie reagierte zuerst überhaupt nicht. Dann seufzte sie und ging zu der Tür, durch die Boris verschwunden war. Sie klopfte an, dann ging sie hinein.
    Ich hörte Boris etwas sagen, aber obwohl Sophie die Tür offengelassen hatte, konnte ich nichts verstehen.
    »Es tut mir leid«, hörte ich Sophie zur Antwort geben. »Ich habe das nicht so gemeint.«
    Boris sagte wieder etwas, das ich nicht verstand.
    »Nein, nein, ist schon gut«, sagte Sophie sanft. »Du bist großartig gewesen.« Nach einer Weile sagte sie dann: »Ich muß jetzt gehen und mit deinem Großvater sprechen. Ich muß jetzt gehen.«
    Boris sagte wieder etwas.
    »Ja, gut«, sagte darauf Sophie. »Ich werde ihn bitten, zu dir hereinzukommen und hier zu warten.«
    Der Junge setzte jetzt zu einer ziemlich langen Antwort

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