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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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dieser Sache nicht bald auf den Grund kommen, wird er sich ernsthafte Sorgen machen. Ganz bestimmt sogar. Schon jetzt gibt es eindeutige Anzeichen dafür. Sie brauchen ihn sich doch nur anzugucken, wie er da so schläft, schauen Sie ihn sich an, wie jung er noch ist. Wir sind es ihm einfach schuldig, seine Welt noch ein wenig länger von solchen Sorgen freizuhalten, finden Sie nicht auch? Diese Sache als ungeheuer wichtig zu bezeichnen ist eher ziemlich untertrieben. In letzter Zeit habe ich mir fast rund um die Uhr Sorgen gemacht. Aber sehen Sie...« Er brach ab und schaute mit leerem Blick auf den Fußboden hinunter. Dann schüttelte er leicht den Kopf und seufzte. »Sie sagen, ich sollte selbst mit Sophie reden. Aber das ist gar nicht so einfach. Sie müssen den Hintergrund, die ganze Situation bedenken. Wissen Sie, wir haben diese… diese Übereinkunft jetzt schon seit vielen Jahren. Seit sie noch ein kleines Mädchen war. Als sie noch sehr klein war, da war alles natürlich noch ganz anders. Bis sie acht oder neun war, ach, da haben Sophie und ich ständig miteinander geredet. Ich habe ihr Geschichten erzählt, wir haben lange Spaziergänge durch die Altstadt gemacht, Hand in Hand, nur wir zwei, und haben geredet und geredet. Sie dürfen mich nicht mißverstehen, ich habe Sophie damals sehr geliebt, und das tue ich auch heute noch. O ja, ganz bestimmt. Wir haben uns sehr nahegestanden, als sie noch klein war. Mit dieser Übereinkunft fing es erst an, als sie acht Jahre alt war. Ja, so alt war sie damals. Übrigens, mit dieser Übereinkunft, die da zwischen uns besteht, sollte es gar nicht so lange gehen. Ich nehme an, ich habe damals gedacht, es würde ein paar Tage dauern. Das war es, das war alles, was ich wollte. Ich weiß noch, an diesem ersten Tag habe ich nicht gearbeitet, und ich wollte meiner Frau in der Küche gerade ein Regal anbringen. Sophie ist mir andauernd hinterhergelaufen, fragte dieses, bot an, mir jenes zu bringen, wollte mir helfen. Ich habe nichts gesagt, ich habe die ganze Zeit kein Wort gesagt. Bald war sie natürlich ganz verwirrt und verärgert, das habe ich sehr wohl gesehen. Aber ich hatte mich nun mal dazu entschlossen, und ich wollte konsequent sein. Es war wirklich nicht einfach für mich. Du liebe Güte, nein, es war wirklich nicht einfach, ich habe mein kleines Mädchen mehr als alles auf der Welt geliebt, aber ich habe mir gesagt, ich müßte stark sein. Drei Tage, habe ich mir gesagt, drei Tage müßten genügen, drei Tage, und dann wäre es vorbei. Nur drei Tage, dann könnte ich von der Arbeit nach Hause kommen, würde sie wieder hochheben, sie an mich drücken, und wir würden uns alles erzählen. Alles wieder wettmachen, sozusagen. Damals habe ich im Hotel Alba gearbeitet, und gegen Ende des dritten Tages habe ich, wie Sie sich ja wohl denken können, das Ende meiner Schicht herbeigesehnt, damit ich endlich nach Hause gehen und meine kleine Sophie wiedersehen konnte. Sie können sich sicher meine Enttäuschung vorstellen, als ich in der Wohnung ankam und Sophie sich weigerte, zu mir zu kommen und mich zu begrüßen, als ich sie rief. Und als ich sie dann suchen ging, hat sie sich, und das war dann noch schlimmer, absichtlich weggedreht und ist aus dem Zimmer gegangen, ohne ein Wort zu sagen. Wie Sie sich ja denken können, war ich ziemlich verletzt. Und ich glaube, ich bin auch ein bißchen wütend geworden – wie gesagt, ich hatte einen schweren Tag gehabt und hatte mich so darauf gefreut, sie zu sehen. Da habe ich mir gesagt, wenn sie sich so benehmen will, dann wird sie schon sehen, wohin das führt. Also habe ich mit meiner Frau Abendbrot gegessen, dann bin ich ins Bett gegangen, ohne ein einziges Wort mit Sophie zu reden. Ich nehme an, von da an ist es einfach so weitergegangen. Ein Tag folgte auf den anderen, und bevor man es sich versah, war es schon die Regel zwischen uns geworden. Ich möchte nicht, daß Sie mich mißverstehen, wir haben uns nicht etwa gestritten, Feindschaft bestand schon sehr bald keine mehr zwischen uns. Tatsächlich war es damals schon, wie es jetzt auch ist. Sophie und ich, na ja, wir sind immer sehr rücksichtsvoll zueinander gewesen. Wir haben einfach nur nicht mehr miteinander gesprochen. Ich gebe zu, ich habe damals nicht gedacht, daß das so lange dauern würde. Ich glaube, ich wollte immer, daß wir bei einer passenden Gelegenheit – an einem besonderen Tag, wie etwa ihrem Geburtstag – alles hinter uns lassen und genauso weitermachen

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