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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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waren schmal und fein, das Leder des Sessels hingegen rissig und spröde. Im Schein der Lampe tanzte leicht der Staub. Eine kleine Spinne saß über der Tür, und auf dem Tisch war eine Nadel liegen geblieben. Es war faszinierend. Als ich einige Jahre später in New York einmal die Gelegenheit bekam, durch die Lupe von Grandpa Greg zu sehen, musste ich an diese ersten Minuten meines Lebens denken: Durch das Vergrößerungsglas wurde jedes Detail überdimensional groß, und Dinge, die man sonst nicht einmal wahrnahm, wurden plötzlich klar erkennbar. So ähnlich sah ich die Welt an meinem ersten Tag: scharf und deutlich und ungemein vielfältig. Alice Sheridans kleine englische Stadthauswohnung war Terra incognita – und ich war gekommen, sie zu entdecken.
    Meine Geburtsstube war der Salon. Die beigefarbenen Seidentapeten waren mit weißen Blumenornamenten übersät und sahen freundlich, wenngleich auch schon zu dieser Zeit ein wenig altmodisch aus. Ein Bücherschrank aus dunklem Holz stand an der Wand, und die bunten Buchrücken brachten ein wenig Farbe herein.
    In der Mitte des Raumes stand eine Recamière aus rotem Samt, davor ein niedriger Tisch, und unter einer Stehlampe in der Ecke thronte ein riesiger brauner Ledersessel – das Pendant zu dem Sessel am Fenster, in dem wir jetzt saßen und noch oft sitzen würden. Neben uns stand ein großer Korb, aus dem allerhand Stoffreste, Garnrollen, Knöpfe und andere Näh-Utensilien unordentlich hervorquollen. Es war der Korb, dem ich entstiegen sein musste – ich erkannte einen Stoff, der meinem Fell ziemlich ähnlich sah, und begann gerade, mich zu fragen, woher genau ich eigentlich kam, da schreckte Alice aus ihren Träumen auf. Sie fuhr hoch, schüttelte kurz den Kopf, wie um die Gedanken zu vertreiben, die sie für einen Augenblick lang gefangen gehalten hatten, und sagte:
    »Herrje, hier sitze ich und träume, dabei steht sicher jeden Moment Elizabeth vor der Tür.« Sie sah mich an. »Fehlt nur noch ein passender Name für dich.«
    Ihr Blick schweifte nach links, nachdenklich, aber hellwach, und ihre Stimme klang fast fröhlich, als sie ausrief: »Wir nennen dich Henry. Du siehst aus wie ein richtiger Henry. Henrys haben eine positive Ausstrahlung, weißt du? Und schön braun bist du. Also, Henry Brown, sei ein anständiger Bär, verstanden?«
    Wie leicht sie es dahinsagte! Als würde sie jeden Tag Teddybären mit Namen versehen. Doch für mich war dies ein erhebender Moment. Denn eines weiß ich genau: Namen sucht man sich nicht aus. Sie kommen zu einem, passen zu einem und sind ein Leben lang die einzige Beschreibung, die auf einen zutrifft. Ich hieß nicht einfach irgendwann einmal Henry Brown. Ich bin bis heute Henry Brown, schlicht und ergreifend – auch wenn ich später noch viele andere Namen bekam (von denen ich manch einen lieber dem Vergessen anheimwünsche).
    Henry Brown, that’s me.
    Nicht besonders aufregend auf den ersten Blick, aber doch ein Name mit Zukunft, das ist wohl nicht zu bestreiten. Ich führte den Namen Brown bereits zu einem Zeitpunkt, als weder der Zeichner noch die Idee eines gewissen »Charlie« überhaupt geboren waren, und auch James, Gordon, Rita Mae, Dan und wie die anderen berühmten Browns alle heißen, kamen nach mir, doch das nur am Rande.
    Ich ließ mir die beiden Worte auf der Zunge zergehen. Henry Brown. Das war mein Name, und ich war hochzufrieden mit ihm. Ich weiß, es gibt da noch dieses »N.«. Das war nicht von Anfang an da, und ich persönlich finde es noch immer völlig überflüssig. Dieses sperrige Faktum drängelte sich im Laufe des Nachmittags zwischen Vor- und Nachnamen, sozusagen als ewiges Mahnmal meiner ersten Demütigung. Überhaupt lief an meinem ersten Tag nicht alles reibungslos …
    Alice gab mir einen Klaps auf den Rücken, nahm mich hoch und stemmte sich aus dem Sessel.
    »Jetzt muss ich mich aber sputen und das Teewasser aufsetzen«, rief sie aus und verschwand aus meinem Blickfeld.
    Ich blieb allein auf der Fensterbank zurück. Kühle Luft zog über meine noch frischen Ohren. Ich lehnte mit der Wange an die Scheibe gedrückt, meine Augen klickerten gegen das Glas, und ich spähte in die neue Welt. Fahles Licht fiel ins Zimmer, es war das Zwielicht regnerischer Nachmittage. Mir gefiel das. Bis heute habe ich nichts gegen Regen. Ich kann auch nicht verstehen, warum die Leute nie müde werden, sich darüber zu beklagen. Der Regen treibt die Menschen nach Hause ins Warme. Soweit ich mich erinnere,

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