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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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enttäuscht von mir wie ich von ihr. Dennoch hatte ich den Eindruck, Alice war erleichtert, wieder sicheren Boden unter den Füßen zu haben und nicht weiter über den mysteriösen William sprechen zu müssen.
    Elizabeth Newman war jetzt ganz in ihrem Element. Ihre langen Fingernägel bohrten in mein Fell, und mir schwindelte vom süßen Duft ihres Parfums.
    Kein Streicheln, kein gutes Wort. Keine Anerkennung für das Prachtexemplar von Bär. Und dennoch freute es mein Herz, dass Alice lachte und alle Traurigkeit aus ihrer Stimme verflogen war. Ich hatte sie, wenn auch indirekt, trösten können. Sie war auf andere Gedanken gekommen, und ich hatte ihr dazu verholfen. Das hatte gut funktioniert, auch wenn es mich kränkte, wie Elizabeth über mich sprach:
    »Wenn das Braun ist, dann sind meine Brownies rabenschwarz, das sag ich dir. Dein Teddy ist Orange. Oder gerade mal Ocker, Liebes.«
    »Ist er nicht«, insistierte Alice immer noch kichernd. Sie war trotz allem stolz auf mich. Und ich war braun. Henry Brown.
    Elizabeth ließ nicht nach. Sie wedelte mit dem Arm. Vor meinen Augen drehte sich das Wohnzimmer. Die Tapete tanzte. Sie hielt mich in das gleißende Licht der Zimmerlampe, um Alice zu beweisen, dass meine Farbe wohl eher einer Mischung aus Sand und Fußmatte entsprach.
    »Jetzt sieh doch einmal genau hin, Alice, das ist nicht Braun.«
    »Aber fast.« Alice blieb stur.
    Elizabeth setzte ihre königliche Miene auf, hob Kinn und Augenbrauen eine Spur und kniff die Lippen zusammen, wie immer, wenn sie sich wichtig nahm. Ihre Verwandtschaft vierten Grades mit den Royals war in solchen Momenten unübersehbar. Und von oben herab, unter einer spitzen Nase hervorgepresst, mit Verachtung in der Stimme, erhielt ich meinen Zweitnamen:
    »Nearly, Liebes«, sagte Elizabeth, die Lippen gespitzt. »Nearly brown.«
    Und wieder lachte Alice, und bald vergaß auch Elizabeth ihre Hochnäsigkeit. »Henry Nearly Brown«, juchzten sie. »Das ist es!«
    Alice setzte eine ernste Miene auf.
    »Vermutlich hast du recht, Elizabeth, auch wenn ich es natürlich nur ungern zugebe. Heute Nachmittag sah er noch etwas dunkler aus. Das muss am Licht gelegen haben. Wir nennen ihn Henry N. Brown. Das verleiht ihm auch mehr Würde.«
    Sie schüttelte meinen Arm und sagte: »Sehr erfreut, Sir Henry N. Brown.«
    Mit diesem leicht belustigten Willkommensgruß wurde ich, verdutzt wie ich war, zurück auf die Fensterbank gesetzt und sah den beiden Frauen zu, die sich plötzlich blendend auf meine Kosten amüsierten.
    Nahm man mich denn nicht ernst? Wieso wurde ich so abschätzig behandelt? Ich war empört. Bis Elizabeth nach Hause ging, übte ich Empörung im besten Sinne – die jedoch vollkommen fruchtlos, weil unbemerkt blieb.
    Es war beschlossen. Henry Nearly Brown.
    »Das hat das Schicksal so bestimmt«, sagte Alice ernst, als wir endlich wieder allein waren. Der Abend war schon angebrochen, Stille machte sich in der Wohnung breit und verdrängte den Nachhall von Elizabeth Newmans Geplauder. Um Strom zu sparen, drehte Alice die Lampen im Flur aus. Auf dem Tisch im Salon standen noch die leeren Teller, und es klirrte laut, als Alice sie aufeinanderstapelte. Die Krümel hatte sie vom Tisch gewischt, direkt in die Hand. Auf dem Weg in die Küche blieb sie stehen und sah mich an. Ich schaute zurück. Meine Empörung verflog, als sie anhob zu sprechen:
    »Ach, Henry, wenn Elizabeth wüsste, wie unrecht sie hat. Ich werde niemals einen anderen lieben als Will. Er kommt vielleicht nicht mehr zurück nach Hause, aber aus meinem Herzen wird er nie verschwinden …«
    Sie seufzte leise und wandte sich ab. Ihre Schuhe klapperten auf dem Dielenboden im Flur. Ich hörte, wie sie sich schnäuzte. Als sie zurückkam, nahm sie mich in die Hände.
    »Elizabeth scheint nicht zu wissen, was Liebe ist, sonst würde sie so nicht reden. Aber du und ich, wir wissen es, nicht wahr? Wir wissen, dass man Liebe nicht einfach in einem Krieg vernichten kann. Wills Liebe ist noch da. In mir und auch in dir. Ich habe sie dir mitgegeben, kleiner Henry, tief drin in deiner Brust habe ich sie versteckt. Das ist unser Geheimnis. Und du musst gut darauf aufpassen, denn die Liebe ist das Wertvollste, was es gibt. Die Liebe, Henry, die Liebe ist nichts, was man sich nehmen kann. Sie kommt zu dir. Sie wird dir geschenkt«, sagte sie.
    Und ich sah sie lange an und versuchte zu verstehen.
    »Ich habe fast das Gefühl, du würdest mich wirklich verstehen, Henry N. Brown. Ist das nicht

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