Die unglaublichen Abenteuer des Barnaby Brocket (German Edition)
verschlug. Sein Hemd war bis zum Bauch offen, was kein besonders erfreulicher Anblick war.
»Ach, Miss Ethel!« Er strahlte über das ganze Gesicht. Dabei gingen seine Augenbrauen nach unten, während sich die Enden seines Schnurrbarts nach oben bogen, so dass sie die Brauen berührten. »Ohne Sie ist es hier einfach nicht das Gleiche. Sie dürfen uns nie wieder verlassen.« Er drohte ihr mit dem Finger, und er klang nun halb lustig, halb ernst. »Solange Sie weg waren, gab’s hier nur Probleme.«
»Na ja, ihr wisst doch alle, dass Marjorie und ich in regelmäßigen Abständen eine Pause brauchen«, sagte Ethel. »Wir würden durchdrehen, wenn wir nicht ab und zu einen unserer Heißluftballon-Urlaube machen würden. Aber ich habe gehört, was sich hier abgespielt hat, und ich bin sehr böse auf dich, Thiago. Wirklich sehr böse. Ich hätte etwas mehr Güte und Verständnis von dir erwartet.«
Barnaby runzelte die Stirn. Für jemanden, der sehr böse, wirklich sehr böse war, klang Ethel ziemlich sanft und gar nicht wütend, sondern höchstens ein wenig enttäuscht.
»Hm.« Thiago wandte sich ab. Sein Gesicht drückte eine Mischung aus Kummer und Schmerz aus. »Wir wollen jetzt lieber nicht darüber sprechen. Aber wie ich sehe, haben Sie eine kleine Überraschung mitgebracht.« Er trat näher zu Barnaby und musterte ihn von oben bis unten. »Wer ist das?«
»Das ist Barnaby Brocket«, erklärte Marjorie. »Er bleibt bis zum Wochenende bei uns. Er möchte wieder nach Hause – nach Australien.«
»Er steckt in einem Moskitonetz.«
»Ja, sonst schwebt er. Der arme Junge kann nicht länger als ein paar Sekunden mit den Füßen auf dem Boden bleiben.«
Thiago kaute bedächtig auf der Unterlippe, dann warf er die Arme in die Luft, als wollte er damit sagen, dass es auf der Welt solche und solche Menschen gab.
»Pflückst du gern Kaffeebohnen, Barnaby?«, fragte er dann.
»Ich hab so was noch nie gemacht.«
»Spielst du gerne Fußball?«
»Ja, aber ich schaue nur zu. Wenn ich spielen will, fliege ich davon.«
»Hmmm. Was machst du sonst noch gern?«
Barnaby überlegte. »Ich lese gern«, antwortete er. »Ich mag Bücher.«
»Ach, du liebe Zeit!« Marjorie seufzte bekümmert. »Ich glaube, wir haben gar keine Bücher im Haus. Jedenfalls keine englischen. Sie sind alle auf Portugiesisch. Kannst du Portugiesisch?«
Barnaby schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Dann haben wir leider nichts für dich, glaube ich.«
Gerade als sie das sagte, kam ein junges Mädchen in die Küche. Sie war etwa achtzehn und trug einen vollgepackten Wäschekorb. Als sie die vier Personen in der Küche sah, blieb sie abrupt stehen. Und dann geschah etwas Seltsames. Thiago fixierte sie mit wütender Miene, nahm Barnabys leeren Teller vom Tisch und schleuderte ihn auf den Boden, wo er in mindestens ein Dutzend Scherben zersprang. Danach marschierte er hinaus.
»Das war nun wirklich nicht nötig«, murmelte Marjorie kopfschüttelnd und griff zu Kehrschaufel und Besen.
»Du armes Ding«, sagte Ethel und schloss das Mädchen in die Arme. »Und du darfst doch nicht so schwer tragen. Nicht in deinem Zustand.« Sie nahm ihr den Korb ab und stellte ihn auf die Arbeitsplatte. »Barnaby«, sagte sie und drehte sich zu dem Jungen. »Das ist Palmira. Sie lebt seit ihrer Kindheit bei uns. Thiago – also der Mann, der gerade rausgegangen ist – ist ihr Vater. Er ist zur Zeit ein wenig von der Rolle, wie du sicher gemerkt hast.«
Barnaby wusste nicht recht, was er sagen sollte – er hatte so etwas Merkwürdiges noch nie erlebt, und außerdem konnte er den Blick nicht von Palmira nehmen, weil er auch noch nie so ein schönes Gesicht gesehen hatte.
Marjorie tätschelte Palmiras Schulter. »Keine Sorge, mein Kind«, sagte sie. »Er beruhigt sich schon wieder. Er braucht nur noch ein bisschen Zeit.«
Doch das Mädchen schüttelte nur traurig den Kopf. Dann nahm sie den Wäschekorb und ging wieder. Barnaby folgte ihr mit den Augen, und er spürte ein eigenartiges Ziehen im Bauch, das er überhaupt nicht kannte. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er das Gefühl, er würde zur Decke hinaufschweben, obwohl er mit beiden Beinen auf dem Boden stand.
Kapitel 9
Endlich etwas zu lesen
Ein paar Tage später saß Barnaby ganz allein in einer Scheune. Damit er nicht davonschweben konnte, hielt er einen Sack Kaffeebohnen auf dem Schoß. Da kam Palmira herein, mit einem Glas eiskaltem Orangensaft und einem Sandwich.
»Oh, Entschuldigung«, sagte sie und
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