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Die unglaublichen Abenteuer des Barnaby Brocket (German Edition)

Die unglaublichen Abenteuer des Barnaby Brocket (German Edition)

Titel: Die unglaublichen Abenteuer des Barnaby Brocket (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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überlegte, wie er sich am besten bei Joshua Pruitt bedanken konnte. Seiner Meinung nach wären nur wenige Menschen so achtsam gewesen, seine Wunde zu desinfizieren und immer gut aufzupassen, dass er nicht davonflog. Aber was konnte er tun?, fragte er sich. Er hatte nur sehr wenig Geld und keine Freunde in New York.
    Und dann hatte er eine Idee.
    Langsam ging er die Straße entlang – sehr langsam sogar –, auf der Suche nach einem Postamt. Als er eines sah, ging er hinein und setzte sich auf einen Hocker vor einem riesigen Telefonbuch. Blitzschnell blätterte er die Seiten um und suchte die Adresse. Er brauchte nicht lang, um sie zu finden. Er notierte sie auf ein Stück Papier, und weil die meisten Straßen in Manhattan durchnummeriert sind und keinen Namen haben, fand er die Adresse ohne größere Schwierigkeiten, trotz der Eisengewichte in seinen Schuhen und obwohl seine Ohren wieder anfingen wehzutun.
    Von der Straße aus wirkte die Kunstgalerie sehr imposant. Sie war komplett weiß gestrichen, und durch die großen Fenster sah Barnaby nur ein paar kleine Gemälde an den Wänden hängen. Er war noch nie in so einer Galerie gewesen und war deshalb etwas nervös, aber er holte tief Luft, öffnete die Tür und trat ein.
    Eine Frau saß hinter einem Schreibtisch und hob kurz den Blick. Barnaby glaubte, an ihrem Gesichtsausdruck ablesen zu können, dass sie bei seinem Anblick kurz davor war, vor Entsetzen in Ohnmacht zu fallen.
    »Grauenvoll«, murmelte sie mit einer verblüffend männlichen Stimme.
    »Was ist grauenvoll?«, fragte Barnaby.
    »Deine Kleidung. Kein Gespür für Farbe, kein Instinkt dafür, was gerade angesagt ist und was nicht. Ich meine – karierte Shorts um diese Jahreszeit!« Sie musterte Barnaby von oben bis unten und schüttelte dann angewidert den Kopf. »Wo sind wir denn hier – auf dem Golfplatz?«
    Sie erhob sich, und Barnaby staunte, als er sah, wie groß sie war, fast einsneunzig. Die Haare hatte sie so straff nach hinten gezurrt, dass ihre Augenbrauen beinahe den Haaransatz erreichten. Ihre Haut war totenblass, und die Lippen hatte sie blutrot geschminkt, was richtig beängstigend aussah.
    »Und wer bist du wohl, bitte schön?«, fragte sie und dehnte jede Silbe, als wäre das Sprechen für sie eine Qual.
    »Ich bin Barnaby Brocket«, antwortete Barnaby.
    »Nun, wir sind hier keine Kindertagesstätte, Benjamin Blewitt«, erklärte sie verächtlich. Ihr Tonfall legte die Vermutung nahe, dass sie es unter ihrer Würde fand, sich den Namen so eines Jungen zu merken. »Auch kein Waisenhaus. Sondern eine Kunstgalerie. Ich muss dich bitten, augenblicklich diesen Raum zu verlassen. Und nimm deinen höchst eigenartigen Geruch mit.«
    Barnaby schnupperte kurz an seinen Sachen, so wie Captain W. E. Johns es immer machte, wenn er sich in seinem Korb zu einer Kugel zusammenrollte. Er merkte, dass die Dame mit ihrer Aussage gar nicht so falsch lag. Er hatte sich nicht mehr gewaschen, seit er von der Kaffeefarm aufgebrochen war, und hatte von Brasilien bis New York im Zug geschlafen.
    »Das ist kein eigenartiger Geruch.« Barnaby bemühte sich, möglichst gekränkt zu klingen. »Es ist mein Rasierwasser.«
    »Du bist doch viel zu jung, um dich zu rasieren. Du bist noch ein kleiner Junge.«
    Barnaby legte die Stirn in Falten. Die Dame hatte recht. Am besten sollte er gleich sein Anliegen vortragen. »Ich bin hier, um mit Mister Vincente zu sprechen«, sagte er.
    »Mit Mister Vincente?« Die Frau lachte laut, weil sie das anscheinend völlig absurd fand. »Erstens nennt ihn kein Mensch Mister Vincente, sondern immer nur Vincente , und zweitens ist Vincente bedauerlicherweise sehr beschäftigt. Sein Terminkalender ist proppenvoll, von heute bis zum Ende des Jahrzehnts. Und ganz abgesehen davon gibt er sich nicht mit stinkenden kleinen Jungen ab, die einfach hier hereinspaziert kommen und ein Pflaster auf der Stirn haben.«
    »Bitte, sagen Sie ihm, dass Barnaby Brocket hier ist«, sagte Barnaby. Er wollte sich von der unhöflichen Reaktion nicht abwimmeln lassen. »Ich bin davon überzeugt, dass er mich empfangen wird.«
    »Nein. Und jetzt raus hier.«
    »Sagen Sie ihm, es handelt sich um eine sehr dringende Angelegenheit.«
    »Wenn du nicht sofort verschwindest«, sagte die Frau und machte einen Schritt auf ihn zu, so dass sie noch bedrohlicher wirkte als sowieso schon, »dann sehe ich mich gezwungen, die Polizei zu rufen.«
    »Sagen Sie ihm, dass ich von einer bestimmten Kaffeefarm in Brasilien komme.

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