Die unglaublichen Abenteuer des Barnaby Brocket (German Edition)
Ich glaube, dann wird er mich sehen wollen, meinen Sie nicht auch?«
Die Frau zögerte. Sie kannte die Lebensgeschichte ihres Arbeitgebers gut genug, um einschätzen zu können, dass die Wörter Kaffeefarm und Brasilien für ihn eine wichtige Rolle spielten. Immerhin hatte sie alle Biographien gelesen, die über ihn geschrieben worden waren, und außerdem sämtliche Zeitungsinterviews, die er je gegeben hatte. Vielleicht war der Junge doch jemand , dachte sie. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, ihn noch weiter zu ärgern.
»Warte einen Moment.« Sie seufzte genervt, drehte sich um und verschwand in dem Büro im hinteren Teil der Galerie.
Ein paar Minuten später erschien ein dunkelhaariger Mann. Er hatte einen bleistiftdünnen Schnurrbart und musterte Barnaby mit einem sparsamen Lächeln und einer gewissen Neugier. »Du willst mich sprechen?«, fragte er, und sein Akzent verriet sofort seine Herkunft aus den Favelas von Sâo Paolo.
»Ich bin Barnaby Brocket«, erklärte Barnaby. »Ich bin über Sydney geschwebt und dort mit einem Heißluftballon zusammengestoßen, in dem Ihre Freundinnen Ethel und Marjorie saßen. Es ist eine lange Geschichte – die beiden nahmen mich jedenfalls mit nach Brasilien, und ich habe eine Woche auf ihrer Kaffeefarm verbracht. Dort habe ich sogar in Ihrem alten Zimmer geschlafen. Die Damen loben Sie in den höchsten Tönen, und Palmira hat mir erzählt, dass Sie für Ethel und Marjorie der liebste Mensch auf der Welt sind.«
»Ja, sie waren meine besten Freundinnen!«, rief Vincente und klatschte vor Freude in die Hände. »Meine Wohltäterinnen. Alles, was ich habe, verdanke ich ihnen. Und dich haben sie auch gerettet? So wie sie mich gerettet haben?«
»Ja, ich glaube, so kann man es ausdrücken«, sagte Barnaby. »Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn ich ihnen nicht im richtigen Augenblick begegnet wäre.« Er schaute zu der großen Frau hinüber, die ihn mit einer Mischung aus Feindseligkeit und Verachtung anstarrte. »Ist sie Ihre Ehefrau?«, fragte er Vincente treuherzig. Bei dieser Frage riss die Frau die Augen so weit auf, dass Barnaby schon befürchtete, sie könnten herausfallen und über den Fußboden kullern.
»Ich bin niemands Ehefrau«, verkündete sie hochnäsig, als hätte ihr gerade jemand unterstellt, sie würde ihre Abende mit Computerspielen verbringen.
»Hab ich mir schon gedacht«, brummelte Barnaby.
»Also – was kann ich für dich tun?«, fragte Vincente, fasste Barnaby am Arm und führte ihn zu einem wunderschön bezogenen Sofa. »Ethel und Marjorie – die beiden sind doch hoffentlich nicht krank, oder?«
»Nein, nein«, beruhigte Barnaby ihn schnell. »Nein, es geht ihnen sogar sehr gut. Die Sache ist die, Mister Vincente –«
»Vincente, bitte, sag einfach nur Vincente zu mir.«
»Die Sache ist die, Vincente – gehe ich richtig in der Annahme, dass Sie sehr viel von Kunst verstehen?«
Der Galeriebesitzer breitete die Arme aus und ließ seinen Blick über die ausgestellten Kunstwerke schweifen. »Ja, ein bisschen was verstehe ich davon«, antwortete er bescheiden.
»Wenn ich Ihnen etwas zeige, können Sie mir dann sagen, ob es gut ist oder nicht?«
»Heute keine Begutachtungen!«, verkündete Vincentes Assistentin und klatschte laut in die Hände. »Du musst einen Termin vereinbaren. Ich glaube, wir haben einen freien Termin am zweiten Dienstag im April. In achtzehn Jahren. Soll ich dich für zehn Uhr vormittags eintragen?«
»Bitte, Alabaster!« Vincente brachte sie mit einem strengen Blick zum Schweigen. »Wenn dieser Junge ein Freund von Ethel und Marjorie ist, dann ist er auch mein Freund. Was möchtest du mir zeigen, Barnaby?«
Barnaby holte eine von Joshuas Skulpturen aus der Tasche – eine ganz kleine, die er mit diesem Plan im Hinterkopf eingesteckt hatte, ohne um Erlaubnis zu fragen. Er wusste ja, dass man nichts mitnehmen durfte, was einem nicht gehörte, aber er hatte gedacht, dass unter gewissen Umständen eine Ausnahme erlaubt war.
Vincente nahm die kleine Metallskulptur in die Hand, drehte sie hin und her und studierte sie eine ganze Weile, dann trat er ans Fenster, um sie im Sonnenlicht noch genauer zu betrachten. Er murmelte irgendetwas vor sich hin, strich mit dem Finger über das Eisen und das Holz und schüttelte dabei verwundert den Kopf.
»Exzellent«, sagte er, als er die Skulptur Barnaby zurückgab. »Einfach exzellent. Hast du das gemacht?«
»Nein«, antwortete Barnaby. »Ein Freund von mir. Er
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