Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
unterwegs sind. Sie singen für mich. Das ist kein gutes Zeichen. Ich kann hinzufügen: sentimental. Das bin ich auch, und vielleicht ist das der schlimmste Bestandteil meiner chemischen Mischung. Ich wurde übrigens der Beste meiner Klasse, nein, ich wurde der Beste in der ganzen Stadt, damit das gesagt ist, in sämtlichen Fächern, Sport eingeschlossen, und ich konnte meine Zukunft hemmungslos wählen. Doch ein Hindernis lag mir im Weg: das Militär. Dieses Risiko durfte ich nicht eingehen. Nicht, weil ich Pazifist gewesen wäre oder friedliche Absichten hegte und um Entschuldigung bitten möchte, ganz im Gegenteil, wenn mir jemand droht, begegne ich ihm gern mit Lachen, geballten Fäusten, Kanonen und allem, was noch schlimmer ist. Ich hatte auch nichts dagegen, den Krieg zu erklären. Der Krieg hat viel Gutes mit sich gebracht. Hätte es keinen Krieg gegeben, wir säßen nicht hier. Aber da war die Sache mit dem Gewehr, dem Zielen und der Disziplin, ganz zu schweigen davon, mit mindestens achtzehn Mann in meinem Alter im selben Raum zu schlafen. Ich würde entlarvt werden, durchschaut und am ersten Tag, oder in der ersten Nacht, zerstört werden. Wer hat schon sein eigenes Zimmer beim Militär? Das haben die Offiziere, die Generäle, die Könige oder die Verräter. Deshalb wurde ich zu einem Embusqué. Das klingt vornehm, nicht wahr? Aber es ist genau das Gegenteil. Es bedeutet Verräter. Vaters Selbstmord machte mich unfähig für den Kampf und untauglich, unser Vaterland zu verteidigen. Mit der Waffe in der Hand könnte ich Gefahr laufen, sie gegen mich selbst und die Meinen zu richten. Ich führte lange Gespräche mit sogenannten Menschenkennern in der Festung von Akershus und führte meine Leiden lang und breit aus. Ich führte sie alle an der Nase herum. Ich benutzte den Selbstmord meines Vaters schamlos. Nie hatte ich eine bessere Verwendung für Vaters Selbstmord gehabt. Es war sein letztes Kapital. Er hätte sich in seinem unseligen Grab umgedreht, nicht nur einmal, sondern zweimal, wahrscheinlich sogar drei- oder viermal. Kam ich etwa nicht aus einer Familie mit einem Waffenschrank? Sie brüsteten sich mit Kriegen ohne Ende. Sie hatten gegen Schweden, Dänen, Schleswiger, Deutsche und Russen gekämpft, es gab keinen Völkerschlag, gegen oder für den sie nicht gekämpft hatten. Ich glaube, sie übertrieben. Ich kann mich jedenfalls noch am besten an die Geschichte mit den beiden Fürsten aus Liechtenstein erinnern, die nach Kristiania kamen, um in Vaters Betrieb zu investieren. Aber vorher wollten sie auf Großwildjagd gehen. Der österreichische Generalkonsul, ich glaube, er hieß Peter Petersen, organisierte in Zusammenarbeit mit meinem Vater eine Treibjagd auf Elche in den Wäldern, die dem Gutsbesitzer Haneborg gehörten, nicht weit von der Stadt entfernt. Diese Treibjagd wurde zu einem Ereignis und war sicher als einzigartig in Norwegen anzusehen. Sechshundert Mann machten sich gegen Mitternacht mit Fackeln auf den Weg und umringten ein Waldgebiet von zwanzig Grundbuchblattnummern, das seit vielen Jahren befriedet war. Alle bewegten sich mit Fackeln auf einen bestimmten Treffpunkt zu, wobei sie schrieen und johlten. Erschrockene Hasen, Füchse und Vögel flüchteten Hals über Kopf. Bis auf die Elche wurde alles Wild aus dem Kreis wieder freigelassen, und zum Schluss wimmelte es von diesen prächtigen Tieren auf einer engen Lichtung im Wald. Um sechs Uhr morgens kamen die Fürsten mit ihrer Eskorte und erlegten acht Elche auf der Stelle. Sie mussten nicht einmal aus ihren Wagen aussteigen. Doch das Nachspiel war das Aufsehenerregendste, denn der Amtmann, Haugen, beschlagnahmte die toten Elche und verhängte über die Fürsten eine Strafe, die größte, die jemals in Norwegen verhängt worden war, da er behauptete, dass man laut Gesetz nur einen Elch pro Grundbuchblattnummer schießen dürfe. Und hier waren alle an einer Stelle erschossen worden. Die Strafe betrug sechstausend norwegische Kronen für das Tier Nummer zwei und das Doppelte für jedes folgende. Die Fürsten reisten heim, ohne eine einzige Münze zu hinterlegen, während mein Vater und der Konsul Peter Petersen einen langwierigen Konflikt austrugen über die Frage, wer die Strafe zu bezahlen hatte. Näher war meine Familie einem Krieg wohl nie gekommen: Besserud, das in Liechtenstein einmarschierte. Satan! Ich schweife ab. Die Uhr hämmert auf den Boden. Das Lot steht schief. Ich habe immer noch sein Blut an meinen Händen, erklärte ich
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