Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
Mutter. Und sie betrachtete mich mit einer Ungeduld, deren Größe ich nicht ganz begriff. Ich konnte alles auswendig, aber begriff nur wenig. Ich war ihre äußerste Grenze. Und die musste sie überschreiten. Ich, ihr Sohn, war ihr Gefängnis. Ich fügte eine weitere Nummer zu meinem bereits dicht gepackten Programm hinzu. Jedes Mal, wenn ich ein Wort schrieb, ob auf Latein oder Norwegisch, musste ich es wieder durchstreichen und von vorne anfangen, und so ging es in einem fort. Was bedeutete, dass ich mehr als doppelt so viel Zeit für die Hausarbeiten brauchte und bald Gefahr lief, im Verhältnis zu den anderen in der Klasse ins Hintertreffen zu geraten. Kurz und gut: Ich lief Gefahr, ein Versager zu werden. Das durfte nicht geschehen. Das wäre mein Untergang gewesen. Was das an Kräften kostete. Ich habe kaum die Kraft, dies zu beschreiben. Einen Zwang umzupolen, einen Hunger zu wenden, einen Einfall zu steuern und sein inneres Wesen zu verbergen, das ist, als wollte man eine Lokomotive mit dem kleinen Finger anhalten. Stattdessen fing ich an, mir die Hände zu waschen. Womit ich nicht die normale Pflege und Hygiene meine. Ich wusch mir die Hände 56 Mal am Tag. Es geschah meistens daheim, aus natürlichen Gründen, aber es kam vor, dass sich mir die Gelegenheit bot, mich auch in der Schule in die Toilettenräume zu schleichen und sie dort zu schrubben. Ich lernte, schrieb, wusch die Hände, schrieb, lernte, schluckte, schnaubte, schüttelte den Kopf, wusch die Hände, streckte sie in die Luft und wirbelte sie herum, und so holte ich das Versäumte auf und kämpfte mich wieder an die Spitze. Die Haut auf meinen Händen wurde rot, rissig und fiel fast vom Fleisch. Die Fingernägel wurden weich. Aber das war es wert. Meine Mutter dagegen wurde wütend. Wollte ich der Stadt das Wasser abdrehen? Gab es kein heißes Wasser mehr für sie? Was trieb ich da drinnen? Das machte mich verlegen, denn ich hatte keine Antwort auf ihre Frage. Ich antwortete: Ich wasche mir die Hände, weil ich mit Tinte gekleckert habe. Tinte, weißt du! Ach, gäbe es nur genug Zeit! Das Leben reicht nicht. Hätten wir genug Zeit, könnten wir uns austoben, ohne Rücksicht auf Stundenpläne, Uhren, Termine, Mütter, Abmachungen, Abfahrten und Blicke. Es ist die Zeit, die wir vermissen, wir, die Kantigen, und es ist die Zeit, nach der wir uns sehnen. Unser Leben nimmt einen zu großen Platz ein. Das Leben ist zu eng. Wir brauchen größere Koffer für diese Überfahrt. Wir brauchen mehr Schuhe. Und apropos Uhr, die Standuhr stand im Skovveien und schlug ihre Stunden, wie ein Echo von Besserud, die gleiche Zeit und dennoch war es ein anderer, erschütternder Rhythmus. Mutter ging eines Nachts auf die Standuhr los, ich erwachte von dem Radau, sie hatte getrunken, und jetzt wollte sie sie ein für alle Mal zerstören, was war das für ein Mann, der seiner Frau nur eine lächerliche Standuhr hinterließ, die sie an den Tod erinnerte und an nichts anderes, als dass dieser sich unaufhaltsam näherte. Ich konnte nicht sagen, dass ich anderer Meinung war, es war kein besonders netter Zug von Vater gewesen, dennoch musste ich Mutter zurückhalten, bevor es zu schlimm wurde. Sie lief Gefahr, von der Uhr erschlagen zu werden. Sie weinte und tobte und sagte, was ja stimmte, dass wir hier nicht hingehörten, wir waren im Gefängnis, wir waren unschuldig verurteilt, und womit hatten wir das verdient? Näher kamen meine Mutter und ich uns im Laufe dieser drei Jahre wohl niemals. Sie weinte. Ich tat, als weinte ich auch. Wir umarmten einander. Hinc illae lacrimae!, sagte ich. Mutter gab mir eine Ohrfeige und rief, jetzt hör um Gottes willen auf mit diesem bescheuerten Latein, rede Norwegisch. Als hättest du nicht schon genug Unarten! Sie sagte Unarten. Das war nicht zu entschuldigen. Ich hätte antworten können, dass sie dabei war, hässlich zu werden, richtig hässlich, sie, die zu ihrer Glanzzeit doch schön, sanft und für jedes Geschlecht attraktiv gewesen war. Sie ging nicht mehr aus, und niemand kam zu ihr. Sie war ganz einfach versauert. Das Schöne verschwand im Körper und hinterließ eine verzerrte Maske, nämlich die Rückseite ihrer Schönheit. Ich weine, heute, nicht damals, oh nein, da ließ ich nur den Schlag auf meiner Wange brennen, aber jetzt, während ich es aufzeichne, im Takt mit dem Glockenschlag. Ich weine, ich, ein böser, alberner und zynischer Greis. Einen schlimmeren Anblick gibt es wohl kaum. Es sind die Nachtigallen, die
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