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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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wie sie im Garten von Besserud wuchsen. Signe und ich hatten vergessen, Samen mitzunehmen, vielleicht sind wir auch nie auf die Idee gekommen, was bei uns beiden oft zu Wehmut geführt hat. Aber langer Rede kurzer Sinn, wie es so schön heißt, wir wohnen jetzt, wie du vielleicht gesehen hast, wenn du überhaupt diesen Brief liest, in Roturura, einem kleinen Ort, wenn man ihn überhaupt so nennen kann, zwischen schneebedeckten Vulkanen. Es ist lange her, dass einer ausbrach, deshalb brauchst du dir keine Sorgen zu machen, und wenn sie eines Tages in die Luft gehen, dann hat das sicher auch seinen Sinn. Dafür haben diese Kräfte die sonderbarsten Wirkungen. Hier und da steigen Säulen von herrlichem unterirdischem Dampf in die Luft, und keine ähnelt der anderen. Und der See, an dem wir leben, der am Fuße des Regenbogengebirges liegt, wie die Maori es nennen, sein Wasser ist milchig und voller warmer, heilender Strömungen. Vielleicht weißt du ja gar nicht, wer die Maori sind, auch wenn du ein gelehrter Mann bist? Sie sind schon immer hier gewesen. In den Städten versuchen sie auszusehen wie wir, trinken Whisky und spielen Billard. Aber wir versuchen, ihnen ähnlich zu sein. Signe und ich, wir haben an diesen Quellen eine kleine Badeanstalt gebaut, während die Maori nackt und ungezwungen am anderen Ufer entlanggehen, als Beispiel für den herrlichen Naturzustand. Wir haben unser eigenes Wörishofen hier. Erinnerst du dich, Bernhard? An unsere Fahrt? Nein, das tust du sicher leider nicht, du warst damals noch zu klein. Aber vielleicht war das die schönste Zeit, die wir beide zusammen verbracht haben, ganz gleich, ob du dich daran erinnerst oder nicht. Denk daran. Was ich eigentlich sagen wollte: Ich schreibe, um dir zu gratulieren. Ich habe in der Zeitung, die immer einen Monat braucht, bis sie zu uns kommt, die Anzeige gesehen. Ich wünsche dir von ganzem Herzen alles Gute und bin stolz auf dich, ja, stolz, ob du es glaubst oder nicht. Ich hoffe, du und deine Sigrid, ihr werdet glücklich, glücklicher, als dein Vater und ich es waren, und dass du mir großzügig verzeihen kannst. Ich kann auch verstehen, wenn du mich verachtest und nichts davon wissen willst. Aber du sollst wissen, dass Verachtung etwas ist, das vorübergeht, nicht die Verachtung, sondern die Wirkung. Bin ich zu kompliziert? Das weißt du selbst am besten. Du bist klüger als jeder von uns. Ich bitte dich um Verzeihung, und dass du mich nicht verachtest.
    eo ipso
    Deine Mutter
    (Signe lässt auch grüßen)
    Ich schwieg. Was hätte ich sagen sollen? Ich hatte dem nichts hinzuzufügen. Da gab es nicht mehr. Was für eine Schlampe. Meine Mater Dolorosa. Was für ein Schlampenpaar! Ja, da war noch etwas, etwas mehr, wie es bei allen derartigen Briefen ist, Briefen mit Briefmarke, die mit so schlechtem Gewissen gestempelt wurde, dass ein ganzes Land auf der anderen Seite des Globus dafür nötig ist. Aber vorläufig schwieg ich, ich konnte nicht mehr und knirschte stattdessen mit den Zähnen, dass die Funken ins Zimmer flogen.
    Mehr Cognac!
    Notto blieb still sitzen, die Hände im Schoß.
    »Mütter sollten ihren Söhnen keine Briefe schreiben«, sagte ich. »Eher umgekehrt. Söhne sollen ihren Müttern Briefe schreiben. Aber diese beiden Fräulein haben mir ja nicht einmal ihre Adresse gegeben! Nicht wahr?«
    »Es ist trotzdem ein schöner Brief«, sagte Notto.
    »Da steht übrigens noch mehr. Soll ich das auch lesen?«
    »Nur wenn du willst.«
    Und ich las laut, PS , wie ich es hasse, verachte, verabscheue, ein Brief mit PS ist immer heimtückisch, ein falscher Brief, post scriptum, das ist etwas, das dir in letzter Minute einfällt, bevor es zu spät ist, aber dann ist es das schon, zu spät:
    PS. Noch einmal, lieber Bernhard. Das wird dich vielleicht amüsieren, wenn ich mich nicht vollständig irre. Hier unten geht alles den anderen Weg. Das Wasser fließt zur Sonne hin, die Sonne geht im Osten unter, und die Schatten bewegen sich rückwärts. Nein, ich bin nicht betrunken. Deshalb sind wir euch einen Schritt voraus, auch wenn die Zeitungen einen Monat zu spät kommen und die Post, die wir schicken, noch später zurückkommt. Denn wenn es in Norwegen Montag ist, dann ist es bei uns bereits Dienstag. Und so geht es die ganze Woche weiter. Ich bin dir voraus, Bernhard. Ich habe bereits etwas von der Zukunft gesehen. Deshalb weiß ich, dass es gut gehen wird.
    Als ob ich das nicht wüsste.
    Ich sank ganz erschöpft auf das Sofa und blieb dort

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