Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
ist nicht mehr gut genug. Man muss kreuz und quer Straßen bauen. Und wenn der Fluss nicht mehr gut genug ist, was ist dann noch gut genug, Bernhard?«
»Wenn der Fluss nicht mehr gut genug ist, dann ist gar nichts mehr gut genug«, erwiderte ich.
Mein Schwiegervater nickte mehrere Male, fuhr aber eine Weile schweigend weiter. Der Himmel war fast sternenklar. Die Bäume waren weiß und schwarz, ab und zu rieselte Schnee von den Zweigen, ein Vogel flog auf. Die Dunkelheit setzte rasch ein.
»Ich muss den Flößern kündigen. Ich muss die Fuhrleute entlassen. Ich muss ganze Familien aus ihrem Heim werfen. Ich liege nachts wach da, Bernhard. Die harten Zeiten haben uns bereits erwischt.«
»Du ähnelst meinem Vater«, sagte ich.
Das war ein schrecklicher Ausspruch, aber er war eigentlich gut gemeint. Doch was nützte das? Einar Juell bremste heftig, drehte sich zu mir um und wirkte gar nicht mehr bedrückt.
»Darf ich das so verstehen, dass die Konzeption noch nicht stattgefunden hat?«
Und in dem Moment begriff ich, warum er mich allein vom Bahnhof abgeholt hatte. Es war nicht der Holzschlag, über den er mit mir reden wollte, sondern die Fortpflanzung. Dieser Holzfäller hatte sogar Worte gelernt, die nicht in das Rauschen der Wälder gehörten. Es war wohl der sogenannte Familienarzt, Doktor Frost, der ihn mit derartigen Floskeln ausgestattet hatte.
»Wir haben das Leben noch vor uns«, sagte ich.
»Wie lange noch?«
»Das kann man glücklicherweise, oder leider, nicht sagen.«
Ich musste in die Dettweiler spucken, schlucken und knirschen. Ein schlimmeres Gespräch hatte ich selten, nein, noch nie geführt.
»Trinkst du heimlich, Bernhard?«
Ich richtete mich auf, in einem Augenblick ungewöhnlicher Ruhe.
»Selbstverständlich nicht. Das ist Medizin. Eine Koloquinte.«
»Du bist der Arzt«, sagte mein Schwiegervater.
»Genau. Und du sollst wissen, dass ich …«
Er unterbrach mich.
»Und da du der Arzt bist, solltest du dir vielleicht einmal darüber Gedanken machen, warum meine Tochter immer noch nicht schwanger ist.«
»Wir sind seit knapp vier Monaten verheiratet. Das eilt doch nicht.«
Einar Juell beugte sich über das Lenkrad, zündete sich eine Zigarette an und musste wieder zu Worten greifen, die ihm nicht standen.
»Sigrid ist nicht glücklich.«
»Nicht glücklich? Den Eindruck hatte ich aber nicht.«
»Sie langweilt sich, Bernhard. Sie langweilt sich, und daran will ich dir gar nicht die Schuld geben, sondern uns. Sie ist unser einziges Kind, und wir haben sie leider schrecklich verwöhnt.«
»Sie langweilt sich? Aber es gefällt ihr doch, Tennis zu spielen. Sie kann es damit noch weit bringen. Wenn sie sich ein wenig anstrengt, dann ist Wimbledon …«
Unterbrechung.
»Erzähl keinen Unsinn, Bernhard. Sie ist eine elende Spielerin. Sie wird nicht weiter als Madserud kommen, oder wie das nun auch immer heißt.«
Jetzt musste ich mich wirklich erheben und meine Ehefrau verteidigen.
»Sie hat eine fantastische Rückhand!«
Einar Juell drehte sich wieder zu mir um.
»Widersetzt du dich?«
»Wie bitte? Ob ich mich widersetze?«
»Du verstehst genau, was ich meine. Weigerst du dich, den Akt der Ehe zu vollziehen?«
»Aber keineswegs!«
»Dann nehme ich an, dass du dich auch einem Besuch bei unserem Familienarzt, Frost, nicht widersetzen wirst. Er hat seine Praxis am Bragernes torg. Und ich nehme an, dass du selbst weißt, was du ihm mitbringen musst.«
»Darf ich dich daran erinnern, dass ich mein eigenes Krankenhaus habe.«
»Hier machen wir es auf unsere Art, Bernhard.«
»Ich möchte doch annehmen, dass das Rikshospital sehr viel verlässlichere Analysen durchführen kann, als es am Bragernes torg möglich ist. Außerdem …«
Erneute Unterbrechung.
»Du bist mit den juristischen Konsequenzen einverstanden?«
»Wieso?«
»Antworte nicht dauernd mit Wieso und Wie bitte, wenn ich dich etwas frage.«
»Wie bitte?«
Einar Juell holte tief Luft.
»Eine Ehe kann auf Wunsch des einen Ehepartners aufgelöst werden, wenn der andere Ehepartner bei Eheschließung ohne Wissen des Ersteren an einem körperlichen Mangel leidet, der dazu führt, dass er oder sie zur Ehe ungeeignet ist. Gesetz vom 20. August 1909. Und ich versichere dir, Sigrid ist nicht ungeeignet. Bist du jetzt damit einverstanden, Bernhard?«
Er hatte sich sogar über die juristischen Bedingungen informiert. Sie hatten offenbar nicht nur ihren eigenen Familienarzt, sondern auch ihren eigenen Rechtsanwalt. Ich
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