Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
als hätten Sie irgendwelche Schmerzen. Es ist doch wohl nicht das Herz? Soll ich einen Krankenwagen rufen?«
Ich spuckte in die Hand und zuckte mit dem Fuß.
»Ich bin hier der Arzt, und Sie sind hergekommen. Darf ich Sie daran erinnern? Ich habe kein Farbband mehr! Das ist es, was mir fehlt, du Tölpel! Und jetzt möchte ich Sie bitten, zu gehen.«
Ich riss das Band aus der Maschine und warf es auf den Boden. Meine Finger wurden fleckig, die letzte Farbe, die letzte Tinte, klebte an mir.
Aber der Mann blieb dennoch eine Weile schweigend sitzen, starrte auf seine Hände, die er zu Fäusten ballte und wieder öffnete, ballte und öffnete.
»Ich bin Architekt«, sagte er.
»Ah ja.«
»Das heißt, ich bin eigentlich nur technischer Zeichner. Ich assistiere dem Architekten. Ich rechne und messe seine Ideen für die Gebäude nach, damit diese nicht zusammenfallen.«
»Ah ja«, wiederholte ich.
»Ich bin im Großen und Ganzen mit dem Leben zufrieden, wie es bisher verlaufen ist. Ich erhebe keine großen Ansprüche. Schlimmer war es mit meinem Vater. Oder was er auch immer gewesen ist.«
»Vielleicht sollte ich lieber einen Krankenwagen für Sie rufen?«
»Sie hat Sie erwähnt.«
»Wie bitte? Wer?«
»Meine Mutter. Sie hat gesagt, oder geschrieben, dass Sie sie immer in ihrem Wintergarten besucht haben. Sie waren damals Student, nicht wahr?«
Ich fragte noch einmal:
»Warum erzählen Sie mir das?«
»Sie fordern mich auf zu gehen, und trotzdem fragen Sie, warum ich das erzähle? Was wollen Sie?«
»Ich will meine Ruhe haben. Was wollen Sie?«
»Gewissheit.«
»Die kann Ihnen kein Arzt geben.«
Er schüttelte lachend den Kopf.
»Obwohl Sie der Beste Ihres Jahrgangs waren? Sind Sie deshalb so leicht an den Drücker gekommen?«
»Was meinen Sie damit?«
»Hören Sie auch noch schlecht? Dann will ich es so deutlich sagen, wie ich kann. Ich bin richtig froh, dass Sie nicht bei der Beerdigung waren. Es gibt Sie nämlich nicht. Ist das klar? Es gibt Sie nicht! Mein Name ist Jacob Lund.«
Er streckte mir nicht die Hand entgegen, ich ihm auch nicht. Er stand einfach nur auf und ging. Er kannte bereits den Weg hinaus.
Mehr muss vorläufig nicht gesagt werden. Sitzen bleiben. Ich blieb vor der leeren Schreibmaschine sitzen. Als ich auf eine Taste schlug, kam kein Buchstabe. Welche Nacht. Albträume entlang der Tapete. Grau, geballte Fäuste, Trampeln. Der Krankenwagen in den Straßen. Blaue Fenster, die brannten. Ich war kurz davor, mich an den schwarzen Drops zu vergreifen und ganz einfach in diesem Moment Schluss zu machen. Nachdem ich dieser Versuchung widerstanden und mir die Hände geschrubbt hatte, genauer gesagt die rechte, 28 Mal, war ich in der Lage, mich wieder an den Schreibtisch zu setzen, erschöpft im Schutz der Standuhr. Ich blätterte in den Bögen, mit der linken Hand, und las den Anfang, ich möchte mich erst einmal vorstellen, damit wir es hinter uns haben: Ich war nicht der Verrückteste. Ich war nur der Zweitverrückteste, und sofort hatte ich eine neue Idee: Makulieren! Makulatur! Makulieren! Was sonst? Aber natürlich! Welche Freiheit! Ich konnte jeden einzelnen Bogen zusammenfalten, wie ich es mit dem ebenso abscheulichen Brief meiner Mutter gemacht hatte. Ich konnte die Seiten auch in Stücke zerkauen und mit mir dahinscheiden lassen. Ich musste übrigens meine Funeralien im Voraus bezahlen, und dann muss ich irgendwann eingeschlafen sein. Wachte auf. Es klingelte an der Tür. Davon war ich aufgewacht. Türklingeln. Oder war es die Standuhr? Die Uhr zeigte genau zwölf. Ich beschloss, die Tür nicht zu öffnen. Das hatte ich ja vorher schon beschlossen. Aber ich konnte es trotzdem nicht sein lassen. Ich änderte meine Meinung. In was für einer Klemme steckte ich! Ich schwankte, lief herum, kroch, und zum Schluss öffnete ich diese verfluchte Tür, die ich am liebsten geschlossen gelassen hätte. Wer stand da? Die Gerippe aus den Rinnsteinen? Die verhärteten Kinder? Es war derselbe wie am Tag zuvor. Jacob Lund. Er stand einfach nur da.
»Sie sehen schrecklich aus«, sagte er.
»Danke. Ist eigentlich Ihr Vater mit Ihnen auch nicht zufrieden? Sie haben so etwas in der Richtung erwähnt.«
»Mein Vater ist tot.«
»Ach ja, so war das. Aber er lässt Sie trotzdem nicht los, nicht wahr? Er will nicht loslassen. Er klammert sich fest. So ist es mit Vätern.«
»Sagen Sie, dass es nicht wahr ist.«
»Doch. Es ist wahr, Jacob. Dein Vater ist tot.«
Ich wollte seine Stirn berühren,
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