Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
nicht umzustimmen. Kaufen Ersatzsohlen für die Mokassins.
PS : Ein neuer Zwang. Bei Franck im Bogstadveien kam er über mich, dass ich alles kaufen musste, was ich anfasste. Es wurde eine teure Angelegenheit. Ich kann nicht mehr in Geschäfte gehen. Brachte sechs Unterhemden, drei weiße Hemden, acht Paar Socken und Hosenträger für ein Vermögen mit nach Hause. Ich habe hohe Schulden bei Franck im Bogstadveien. Nicht ein Wort zu Sigrid. Sofort neue Pläne: die Temperatur. Die Tage drehen sich. Langsam, aber sicher. Notto schläft tagsüber und geht nachts.
Juli, der dritte: Wir sind Optimisten. Bis auf Sigrid. Die es wieder an Notto auslässt. Will nicht mitkommen. Gott sei Dank. Zug nach Kopenhagen.
Aber es war eigentlich nicht das Farbband, das mich so erschütterte. Um zwölf Uhr klingelte es nämlich an der Tür. Das bin ich gewohnt. Meine hinfällige Klientel pflegt um diese Uhrzeit aufzutauchen. Dann haben sie wieder eine Nacht überstanden und glauben in ihrer einfältigen Art und Weise, dass sie auch den Rest des Tages schaffen werden, aber um zwölf Uhr sehen sie bereits der Dunkelheit ins Auge, ihre Hände fangen an zu zittern, und sie müssen bei mir für einen erbärmlichen Moment Schutz suchen, damit ich ihnen allergnädigst eine neue Dosis verordnen kann. Ich überlegte, gar nicht zu öffnen. War ich nicht im Recht? Ich hatte genug mit dem zu tun, was mich beschäftigte, und musste mir nicht auch noch diese fordernden, sich selbst bemitleidenden Patienten aufbürden. Es klingelte noch einmal. Ich ergab mich meinem Schicksal. Draußen stand ein gut gekleideter Mann mittleren Alters, 49 Jahre alt, wie ich inzwischen weiß. Sein Gesicht war blass, aber nicht ungesund, das Haar schütter und auf eine Art gekämmt, dass es diese Blöße verbergen sollte. Er trug eine große Brille, die Lippen waren schmal. Ich hatte ihn noch nie zuvor gesehen, wie ich glaubte.
»Doktor Bernhard Hval?«
Ich nickte nur und wollte ihn zunächst nicht hereinlassen. Ich erklärte ihm, dass ich die Praxis nicht mehr führte, ich war schon vor langer Zeit in Pension gegangen, sehen Sie mich an, einen zahnlosen Greis. Die Sache war, dass ich glaubte, er käme von den Behörden, und ich hatte, wie ich schon andeutete, in deren Augen keine reine Weste. Doch der Mann bat und bettelte, und schließlich konnte ich nichts anderes tun, als ihm den Weg in mein Arbeitszimmer zu weisen, wo er sich sofort hinsetzte. Außerdem, wenn die Behörden mich überprüfen wollten, dann würden sie ja wohl nicht allein kommen, es müssten mindestens zwei sein, und sie müssten ihre Legitimation vorweisen. Dieser Wurm hatte nicht einmal gesagt, wie er hieß.
»Meine Mutter ist tot«, sagte er.
»Mein Beileid.«
»Sie wurde gestern beerdigt. Im Vestre Krematorium.«
»Aha.«
»Aber Sie lesen anscheinend keine Zeitungen, oder? Ich meine, Todesanzeigen.«
»Wenn Sie etwas zur Beruhigung brauchen oder …«
Er unterbrach mich, und seine Stimme hatte jetzt einen anderen Ton angenommen.
»Sie hätten dort sein sollen.«
»Wie bitte?«
»Sie ist 94 Jahre alt geworden.«
Ich sagte höflich:
»Dann hat sie viel erlebt.«
Plötzlich lachte der Mann laut auf und schaute sich um.
»Schreiben Sie?«
Ich war außerstande, diesen Besuch zu verstehen, diesen fremden Mann, der sich fast jedes Recht in meinem Arbeitszimmer herausnahm und mich mit Beichten und Fragen quälte.
»Nur einige kleine Erinnerungen und Tagebücher«, sagte ich.
Warum sagte ich das? Ich hätte überhaupt nicht antworten sollen. Ich hätte ihn lieber aus der Wohnung jagen sollen. Er raubte mir das Einzige, was ich hatte: meine Zeit.
»Meine Mutter hat das auch getan. Ihre Erinnerungen niedergeschrieben. Sie hat ja so viel erlebt, wie Sie gesagt haben.«
»Und warum erzählen Sie mir das?«
»Sie hat über alle ihre Blumen geschrieben. Wann sie aufgeblüht sind. Wann sie verwelkten. Wie viele Ableger sie gehabt haben. Wie oft sie gegossen werden mussten. Die Temperatur. Sie war sehr gewissenhaft. Ich glaube, der Wintergarten war ihre größte Freude, wenn man alles bedenkt.«
Ich sagte nichts. Ich wollte abwarten, bis er alles gesagt hatte. Anschließend würde ich ihn bis zur Tür begleiten und diese nie wieder öffnen.
»Fühlen Sie sich nicht gut?«, fragte er.
Er, dieses aufdringliche Wesen, fragte mich, den Besten seines Jahrgangs, ob ich mich nicht gut fühlte. Ich hätte ihn mir vornehmen können, diesen Lumpenkerl, ja, Lumpenkerl.
»Wieso?«
»Es sieht aus,
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