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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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saßen. Die Mutter schaute ihn geradewegs an, stolz und wütend, ja, es bestand kein Zweifel, sie war wütend, denn niemand sollte ihren einzigen Sohn einen Spitzbart nennen. Der Vater saß neben ihr, die Hände im Schoß gefaltet oder geknotet, je nachdem, wie man es sehen mochte, und auch er war wütend, aber auf wen, das war schwer zu sagen, er konnte sich nicht so recht entscheiden, ob es der Sohn oder der Pfarrer war, der eine Runde auf dem Schleifstein verdient hatte. Das mögen andere herausfinden, bei tiefergehenden Studien über Notto, die sicher noch folgen werden.
    »Gottes Wege sind unergründlich«, sagte Notto.
    »Lauter!«
    Notto holte tief Luft:
    »Gottes Wege sind unergründlich!«
    Das war in der gesamten Gemeinde zu hören.
    Und damit überfiel den Pfarrer eine gewisse Ruhe, der Skandal war kein Faktum, er hatte sich im Gegenteil in eine Bereicherung verwandelt, er hatte einen verirrten Konfirmanden wieder auf die richtige Bahn gebracht und konnte ihm jetzt seine Hand mit gesundem Gewissen auf die Schulter legen.
    »So soll es lauten«, sagte er.
    Anschließend folgte, wie es sich gehört, das Kaffeekränzchen, die Besinnung und der eine oder andere Schluck in aller Stille hinter den Birkenreisern und norwegischen Flaggen.
    Hosianna!
    Mai 1900! Welche Jahreszahl! Das Jahrhundert drehte sich langsam und doch plötzlich, ein schwarzer Schatten, der weiterhin unter uns entlangtrieb, ein Schwarm von Tagen, die niemand einfangen kann. Es gibt kein Netz, das tief genug ist. So stelle ich es mir vor. Aber es war auch ein Moment der Freude, ein Augenblick des Glücks für die Kantigen, und es würde mich umso mehr freuen, wenn dieses Glück in gleicher Weise an die Oberfläche dessen, was ich eine tragische Festschrift nenne, steigen könnte und den Leser zumindest mit einem Lächeln berührte. Es ist meine Absicht und meine Pflicht, mir selbst keinen großen Platz einzuräumen, und das lässt sich einfach bewerkstelligen, denn ich brauche nicht viel Platz. Aber ich möchte dennoch daran erinnern, dass ich zu diesem Zeitpunkt immer noch ein Embryo im Leib meiner nervösen, überdrehten Mutter in den kühlen Räumen im Schatten der Kiefern auf Besserud war. Im Herbst sollte meine Zeit kommen, und unsere Wege, Nottos und meiner, begannen sich anzunähern, langsam aber sicher, unwahrscheinlich und genauso gut möglich.
    Notto hatte das gehalten, was er seinem Vater versprochen hatte, nämlich dessen Willen zu gehorchen.
    Jetzt war er frei.
    Und am nächsten Tag verabschiedete sich Notto von seinen Eltern und zog hinunter nach Kristiansand, mit seinem Nötigsten, das heißt, zwei Paar fester Schuhe und dem Gedicht, das er immer bei sich trug. Dort suchte er als Erstes den Kirchspielschreiber auf und bat darum, dass sein Name verändert wurde. Welch Schabernack! Hatte er doch soeben die Taufe bekräftigt, Aug in Aug mit dem Pfarrer und der Gemeinde, um dann schnurstracks hinzugehen und den Namen zu ändern! Das war Notto, wie er leibte und lebte. Und der Kirchspielschreiber, dieser selbstherrliche Protz, der hatte großes Verständnis für diesen Wunsch. Notto war wohl nicht der einfachste Titel, den ein junger Mann ertragen konnte. Aber der Kirchspielschreiber hatte ihn falsch verstanden. Notto wollte Notto behalten, dafür aber Senum austauschen. Großer Zweifel. Und welchen Namen würde er in diesem Fall wählen wollen? Fipp. Fipp? Noch so ein Streich! Er nahm den Pfarrer beim Wort! Du Spitzbart, du Fipps! Notto Fipp wollte er heißen. Und mit Feder und Papier und offiziellem Stempel wurde er schließlich ins Register aufgenommen, genannt nach seinem kleinen Bart, und anschließend behielt er diesen Namen, der bald im ganzen Land bekannt werden sollte:
    Notto Fipp.
    Am selben Abend heuerte er auf dem Schiff Veritas an, der Kapitän hieß C. Knudsen, falls das von irgendeinem Interesse sein sollte, aber wenn Sie glauben, dass Notto ein Seemann auf großer Fahrt wurde, ein vertrauensvoller Matrose, dann irren Sie sich gründlich. Ein Frachtschiff war nichts für ihn. Notto war und blieb eine Landratte, wie es alle unserer Machart sind. Das Meer ist nichts für uns. Mit Seebeinen aufzutreten, das war nichts für Notto Fipp. Er brauchte festen Grund, um darauf zu gehen. Er brauchte mehr als ein wackliges, schwankendes Deck, um hin und zurück zu kommen, auch wenn der Frachter ihn nach Bremen, Kuba und London bringen sollte, mit Klippfisch in der einen Richtung, Mahagoni in der anderen, und dort in London, am

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