Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
West Indiana Import Dock, fiel Notto Fipp seiner ganzen Länge nach aus der Takelage, als er die Seile teeren sollte, wurde für tot erklärt und in die Morgue geschafft, kam aber Gott sei Dank wieder zu sich, bevor der Totengräber ihn unter die Erde bringen konnte, denn den Verstorbenen heim nach Norwegen, nach Senum zu schicken, das kam nicht in Frage, das kostete mehr Geld, als er bei sich hatte, und er hatte nichts bei sich außer einem Strohhut und einem Regenschirm. Notto Fipp ist die einzige Leiche, die diese kalte Herberge bei den Docks auf ihren eigenen Beinen wieder verließ. Ach, wie gern hätte ich ihn dabei gesehen! Und ich sehe ihn geradezu vor mir: Notto Fipp, wie er von den Toten aufersteht, zwischen den übel stinkenden, neidischen Kadavern davongeht, geblendet von der Sonne den Regenschirm öffnet, um so in seinem eigenen Schatten weiterzugehen. Viele Jahre befand er sich dort. Es hat keinen Sinn, in dem herumzubohren, was wir nicht wissen. Das nächste Mal finden wir ihn an Bord des Seelenverkäufers Thingvalla, mit Kurs auf Amerika. Viele suchen nach Klondyke. Notto Fipp ist nicht der Einzige. Wir schreiben das Jahr 1919. Ich schreibe mich im selben Herbst in der medizinischen Fakultät in Kristiania ein. Notto Fipp geht in New York an Land und beginnt seine eigene Tour, von Stadt zu Stadt, nur selten schmuggelt er sich auf die Eisenbahn, nicht in der dritten Klasse, sondern in der vierten, den Güterwaggons, die für Vieh, Post und Vagabunden sind. Es kümmert ihn auch nicht, wenn er rausgeworfen wird, auch wenn es mitten in der Prärie ist. Kann er nicht ebenso gut gleich auf eigenen Beinen gehen? Er bekommt in Grand Rapids Arbeit, die übliche, das heißt als Stalljunge, bei den Cale Brothers, einem Zirkus zweiter Klasse, und abgesehen davon, dass er die Pferde putzen, waschen und in Ordnung halten muss, muss er den Reitern vor jeder Vorstellung auf den Pferderücken helfen. Das ist eine Knochenarbeit, was Notto Fipp verwundert, denn drinnen in der Manege führen sie halsbrecherische Akrobatik vor, während die Pferde einen Kreis nach dem anderen traben, aber hinter der Bühne brauchen sie Hilfe, um überhaupt hinaufzukommen. Außerdem schauen die Artisten auf die gewöhnlichen Arbeiter herab und fordern höheren Lohn und essen fettes Fleisch und schlafen in Himmelbetten. Das auch noch! Doch als Notto eines Tages in aller Bescheidenheit auf eigene Faust einen Ausritt unternimmt, bekommt er eine Strafe, und er sieht nun keinen Grund mehr, so weiterzumachen. Er redlightet, solange er noch ein paar Cent übrig hat, was nichts anderes heißt, als dass er abhaut und die roten Rücklichter sieht, während der Zug in der Dunkelheit verschwindet. Well, that’s all right, wie Notto zu sagen pflegte, er nahm seine Bagage unter den Arm und trampte weiter nach Richmond, wo er eine Zeitlang in einer Schlachterei angestellt war und die Aufgabe hatte, das Messer in geräucherte Schinken zu stecken, um zu sehen, wie gut oder wie schlecht sie waren, ein erbärmlicher Job für einen Ehrenmann, der kein Fleisch verträgt. Deshalb ging der Trip bald weiter, dieses Mal nach Chicago. Hier trifft er vor einer größeren Meierei einen Amerikaner aus dem Süden Norwegens, und dieser erbarmt sich seines Landsmannes, der gleichzeitig kränklich und gierig zu sein scheint, wie er da in seinen alten Stiefeln, der abgewetzten Hose, dem zerrissenen Pullover, Strohhut und kaputtem Regenschirm steht. Hier findet Notto Fipp wirklich Geschmack an der Milch, die er immer als sein Lebenselixier bezeichnet hat. Seine Aufgabe in der Meierei ist es, die Sahnekannen zu leeren und zu reinigen. Und er sagt auch bei der Sahne nicht Nein, schon gar nicht, wenn sie dick ist wie Grütze und ein wenig sauer. Dann braucht man sich nur eine Handvoll zu nehmen, es ist die reinste Völlerei. Doch das ist eine andere Geschichte, die ich aufgreifen werde, wenn dafür noch Raum und nicht zuletzt Zeit ist. Hat sich eigentlich schon einmal jemand überlegt, dass Zeit und Raum so eng zusammenhängen, dass wir sie kaum trennen können? Zeit und Raum sind wie siamesische Zwillinge. Nimmt man das eine fort, stirbt das andere. Und es ist eine unserer großen Paradoxien, von denen wir viele haben, dass die Zeit nicht Raum hat für alles, was wir tun sollen, unsere Wiederholungen, unsere Gebete, unsere unablässigen Redewendungen, unser unersättlicher Fleiß, unser militanter Ordnungssinn, unsere Unordnung, unsere Beschwörungen und Bewegungen. Die Zeit
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