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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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geirrt hatte, sie sagte es: Du hast Bodenfrost in dir, Bernhard. Deshalb seziere ich diese Erinnerungen mit meinem rechten Zeigefinger und komme zur Sache, während die Uhr hinter mir bald Überstunden macht, die große Nachtschicht einlegt: Es war ein herrlicher Tag. Die Sonne strahlte. Die Temperatur stieg gen Himmel. Ich folgte Notto mit einiger Entfernung, um ihn nicht zu stören. Wir waren zwischen Holmestrand und Drammen, sein letztes Joch, bevor es Ernst wurde. Er war in guter Form, ja, teilweise kam es vor, dass er schneller ging, als ich fahren konnte. Was vielleicht mehr über den Roadster als über Notto sagt, aber dennoch. Wir waren Optimisten. An einer Milchrampe, an der ein Bauer gerade seine Milchkannen abstellte, hielt ich an, um ihn zu fragen, ob er vielleicht einen Schluck übrig hätte, ich zeigte ihm die leere Flasche, mehr war nicht nötig.
    »War das nicht der Fipp, der da vorbeiging?«, fragte er.
    »Das war niemand anderes als Fipp persönlich«, bestätigte ich.
    Ohne viel Federlesen hob der Bauer eine ganze Kanne auf den Rücksitz.
    »So viel braucht er mindestens. Und ich hoffe, dass er diesem Steak ein für alle Mal davonläuft!«
    »Das verspreche ich. Wie viel schulde ich Ihnen?«
    »Nichts.«
    »Das ist viel zu viel.«
    Wir schüttelten uns die Hände, und der Bauer nahm seine Mütze ab, und seine Stirn glänzte weiß über dem sonnenverbrannten Gesicht.
    Ich fuhr weiter. In dem Staub, der auf dem engen Weg aufgewirbelt wurde, ich wurde diesen Staub einfach nicht los, in dieser flimmernden Hitze, die die Luft fast zum Vibrieren brachte, ein norwegischer Sommer ohnegleichen, in diesem Staub konnte ich kaum einen Meter weit sehen, weil ich von der Sonne so geblendet wurde. Ich sah Notto nicht. Ich hatte ihn aus den Augen verloren. Ich bog um die nächste Kurve, gleich bei einem Waldstück, steigerte das Tempo, und da war es bereits zu spät. Ich hörte es, bevor ich es wusste: Knochen, die knackten. Ich schlug mit der Stirn gegen die Windschutzscheibe, wurde nach hinten geschleudert, fuhr voller Panik zurück und zog Notto unter der Stoßstange mit mir, dann wurde es vollkommen still. Mit Mühe kam ich aus dem Wagen. Notto lag vor dem Roadster, halbwegs unter ihm. Ich konnte schnell erkennen, wie es um ihn stand. Beide Beine waren mehrfach gebrochen, von den Knien abwärts. Die Füße waren verdreht, Blut floss aus den Mokassins. Das eine Rad war ihm über das Gesicht oder den Schädel gefahren, hatte ihn zusammengedrückt und ein tiefes schwarzes Muster vom Reifen hinterlassen. Ein junges Paar kam aus einem anderen Wagen herangelaufen. Was war passiert? Notto mit all seinem freien Willen und seinem Drang war stehen geblieben und hatte ihnen geholfen, ihren Wagen zu schieben, der eine Panne gehabt hatte, sie waren auf einem Sonntagsausflug. Die junge Frau schrie.
    »Ist das unsere Schuld? Ist das unsere Schuld?«
    Dachte sie nur an sich selbst und nicht an den zerschmetterten Mensch, der zwischen uns im Sterben lag? Nein, sie dachte an uns alle.
    Der Mann rief:
    »Wir brauchen einen Arzt!«
    Und ich konnte auf beide Fragen gleichzeitig antworten:
    »Es ist meine Schuld. Und ich bin Arzt.«
    Ich hockte mich hin und nahm Nottos Hand.
    »Bist du es?«, fragte er.
    »Ich bin hier. Schone deine Kräfte, Notto.«
    Während der Mann zum nächsten Hof lief, um einen Krankenwagen zu rufen, musste ich sowohl Notto als auch die junge Frau versorgen, die mitten auf der Straße saß und hysterisch schluchzte. Ich legte meine Jacke über das eine zerschmetterte Bein, traute mich aber nicht, das andere herauszuziehen. Das hätte Schlimmes noch schlimmer machen können. Wir mussten auf Verstärkung warten. Der Mann kam zurückgelaufen, mehrere Menschen folgten ihm, Kinder und Erwachsene, sie hatten alles stehen und liegen lassen, um sich das hier nicht entgehen zu lassen. Dann stellte sich heraus, dass der Krankenwagen nicht vor zwei Stunden hier sein konnte. Notto würde es unmöglich so lange aushalten. Ich musste eine Entscheidung treffen. Ich befahl vier Männern, den vorderen Teil des Autos anzuheben, so dass zwei von uns Notto herausziehen konnten. Es war schlimmer, als ich gedacht hatte. Der linke Fuß war nicht nur zerquetscht, er hing nur noch an einer Fleischfaser und konnte jeden Moment abfallen. Ich bekam ein Hemd und einen Pullover, die ich zum Verbinden benutzte, es wurde Wasser geholt, und ich mischte einen kräftigen Drink, den ich Notto mit Mühe und Not einflößen konnte. Bald fiel er

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