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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Patienten wollten mich trösten. Ich zeigte ihnen mein Skalpell, und sie zogen sich zurück. Doch das war nicht alles, was dort stand. Dem Artikel folgte ein Interview mit Notto, und der Journalist hatte ihn folgendermaßen zu Wort kommen lassen: Wir sind fünf Junggesellen hier oben, wir haben uns zusammengeschlossen und treffen uns jeden Abend, um diese prekäre Situation zu besprechen. Nach vielen reiflichen Überlegungen sind wir uns einig geworden, dass der einzige Ausweg darin besteht, dass wir heiraten. Doch da wir es als höchst unwahrscheinlich ansehen, dass fünf Frauen uns hier in diesem hintersten Kaff auf dem Präsentierteller geliefert werden, sind wir uns einig darüber geworden, dass wir versuchen wollen, über die Lokalpresse Liebste per Anzeige zu suchen. Das ist der Grund, dass wir uns hier in der Zeitung zu Wort melden. Wir stellen an das Aussehen oder die moralische Lebensweise der Frauen keine Anforderungen. Es geht nur darum, dass sie sich mit uns so schnell wie möglich verheiraten. Man muss dabei bedenken, dass wir bei dieser Hochzeit genauso viel riskieren wie die Frauen. Die einzige Bedingung, die wir stellen, ist, dass sie wirklich frei sind, dass niemand auf sie Ansprüche erheben kann. Ansonsten haben wir nichts dagegen, wenn sie Geld in ihrer Mitgift haben.
    Und dann kehrte sich meine Verzweiflung in Jubel. Denn zum Schluss antwortet Notto auf die Frage, ob er mit dem Gehen ganz aufgehört habe:
    »Ich würde gern noch einmal gegen das Steak antreten.«
    Das war alles, was ich brauchte. Das war das Zeichen, auf das ich gewartet hatte. Wir hatten denselben Gedanken gehabt. Notto Fipp rief. Und ich folgte seinem Ruf. Endlich würde ich meine Revanche kriegen. Die Zeit war reif. Zu meiner Verwunderung wurde mir sogleich von Direktor Thøger eine Permission gestattet, damit ich in aller Ruhe an meiner Doktorarbeit weiterarbeiten konnte. Er legte mir die Hand auf die Schulter und sagte etwas in der Art, dass diese Dissektionen und Leichenöffnungen verkohlter, aufgedunsener, zertrümmerter und zerfetzter Körper, Tag für Tag, dem Hartgesottensten auf die Nerven gehen könnten. Ich war nicht der Einzige und würde auch nicht der Letzte sein, der eine Atempause brauchte. Die Nerven? Es stellte sich heraus, dass einige der Patienten, natürlich nicht die Toten, sich bereits über mich wegen des Skalpells im Pausenraum beschwert hatten. Sie fühlten sich bedroht. Deshalb dieses resolute Entgegenkommen. Wollte er mich loswerden? Aber genug davon. Ich belud die Rücksitze des Roadsters mit Bananen und Milch, legte Sigrid eine Nachricht hin und fuhr schnurstracks Richtung Evje. Zuerst suchte ich die Gruben auf, traf den Hauer, der mir erzählen konnte, dass Notto Fipp nicht dort arbeitete. Hier waren nur verheiratete Männer, sonst gab es zu viel Durcheinander und zu viele Prügeleien. Man konnte von weniger misogam werden. Ich hätte ihm gern eine Lektion erteilt, dahingehend, dass Verhalten und Moral nicht zwangsläufig innerhalb einer Ehe besser sind als außerhalb. Aber ich hatte keine Zeit zu verlieren. Außerdem war ich erleichtert. Notto war immer noch Junggeselle. Er war frei. Ich fuhr weiter zu der achteckigen Kirche von Hornnes, und nachdem ich bei dem Glöckner nachgefragt hatte, fand ich schließlich den Weg, der zu Nottos bescheidenem Wohnsitz führte. Das letzte Stück musste ich zu Fuß gehen, und sicherheitshalber legte ich eine Flasche Milch und ein Bündel Bananen in die Arzttasche. Es war ein erbärmlicher Ort, an den ich kam, einsturzgefährdet, windschief und wacklig. Aber rundherum breitete sich die mächtige Natur aus und drohte es sich einzuverleiben, mit dem glänzenden Fluss, weiten, dichten Wäldern, sowohl Nadel- als auch Laubbäumen, und leicht geschwungenen Wiesen, so grün, dass man glauben konnte, sie wären aus Filz. Notto selbst, dieser pauvre honteux, saß am Schleifstein, der fast zugewachsen war, und putzte seine Mokassins. Er schien nicht überrascht zu sein, mich zu sehen.
    »Bist du bereit?«, fragte ich.
    Notto zuckte mit den Schultern.
    »Ich kann mich wohl schon ein bisschen vom Acker machen, ob früher oder später, ist auch egal«, antwortete er.
    Und so begann der letzte Trip, vorsichtig, in den Gefilden der Kindheit, wo alles verfallen und gleichzeitig immerwährend war. Wir schliefen unter freiem Himmel oder in einer Scheune; wenn es regnete, konnten wir einfach im Roadster übernachten, oder wir ließen es halt regnen. Ich ließ Notto nicht eine

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