Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
in diesen Jahren. Der Tod gab uns mehr als genug zu tun, und er zeigte sich von seiner schlimmsten Seite, grob und schmerzhaft, und es sollte noch schlimmer kommen. Da ich mittlerweile in dieser Festschrift allein und ohne Illusionen dastehe, erlaube ich mir, eine Sache zu referieren, die in vielerlei Hinsicht meinen Ruf verstärkte. Die Sache war nicht außergewöhnlich schlimm, aber umso verwickelter und zeigte, wie sehr sich diejenigen doch irrten, die meinten, die Gerichtsmedizin sei überflüssig. Wir erwecken nicht die Toten zum Leben. Wir sorgen nur dafür, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird, und das ist nicht nur nur. Das ist Zivilisation. Ein heimgekehrter Norwegisch-Amerikaner aus New York, wo es auch abwärts ging, wohnte zusammen mit seinem jüngeren Bruder in einer kleinen Baracke bei Sandvika, und in der Nacht zum vierten Januar 1932 wurde er sterbend in seinem Zimmer gefunden, mit Kopfschuss und bewusstlos. Er wurde sofort ins Krankenhaus gebracht, starb jedoch am nächsten Morgen und nahm damit den Verlauf des Geschehens mit ins Grab. Am Tatort konnten wir feststellen: Er lag halb bekleidet auf dem Rücken, die linke Hand um den Lauf einer Pistole mit einem 35 Zentimeter langen Lauf, deren Kolben auf seiner linken Schulter ruhte. Die Schusswunde saß auf der linken Scheitelseite, die Kugel war vertikal eingedrungen und hatte sich durch den Mund gesprengt. Der Anblick ließ schlimme Erinnerungen in mir wach werden, die ich jedoch für mich behielt. Eigentlich hatte ich keine Gefühle. Sonst wäre das auf den Verstand übergegangen. Ich war und bin ein Mathematiker des Todes. Ich vermesse Winkel. Kann es eine geeignetere Arbeit für uns Kantige geben? Bei näheren Untersuchungen fand ich außerdem eine weitere Schusswunde, sie war kleiner, wahrscheinlich verursacht von einem abgesprengten Stück der ursprünglichen Kugel. Dagegen fand ich keinerlei Anzeichen für einen aufgesetzten Schuss wie Pulverspuren oder Verbrennungen an Haar und Haut. Da die Umstände so außergewöhnlich waren, wurde gerichtlich eine Leichenöffnung angeordnet. Es wurden auch Schussproben abgehalten, von einem Gerichtschemiker, um den Abstand überprüfen zu können, von dem aus der Schuss abgefeuert worden sein musste. Die Folgerung war, dass es schwierig erschien, sich vorzustellen, dass der Verstorbene mit einer so langen Pistole sich den Schuss selbst gesetzt haben konnte, also Selbstmord begangen hatte, und der Ansatz des Schusses am Vorderkopf und seine Richtung waren von der Art, dass die Polizei annahm, dass ein Verbrechen vorlag. Der Bruder, Halvor H. E., mit dem der Verstorbene zusammengewohnt hatte, wurde verhaftet und des Mordes angeklagt. Er war in der betreffenden Nacht nicht im Haus gewesen, war mit Malerarbeiten auf einem Hof sieben Kilometer entfernt beschäftigt gewesen. Er hätte kaum in der Nacht nach Hause kommen und seinen Bruder erschießen können, ohne dass seine Abwesenheit auf diesem Hof bemerkt worden wäre. Die Pistole, mit der der Schuss abgefeuert worden war, gehörte dem Verstorbenen selbst, ebenso die benutzten Patronen. Nur die beiden Brüder wussten, wo die Pistole und die Patronen aufbewahrt wurden. So war die Lage, als der Fall der Gerichtsmedizinischen Kommission vorgelegt wurde. Nachdem ich die verschiedenen Akten zu dem Fall sorgfältig studiert hatte, gab ich eine Erklärung ab, der sich die anderen Mitglieder umgehend anschlossen, nämlich, dass es nicht auszuschließen war, dass der Verstorbene sich selbst erschossen hatte. Man könnte sich die Situation so vorstellen, dass der Verstorbene, auf dem Boden sitzend, die Pistole mit der linken Hand um den Lauf und den rechten Arm voll ausgestreckt an den Scheitel hält, so dass ein Finger den Abzug gerade noch erreichen kann. Der Abstand vom Scheitel bis zu den leicht gekrümmten Fingerspitzen wurde mit 36 Zentimetern berechnet. Der Schuss wird abgefeuert, und er sinkt nach hinten auf den Boden, die linke Hand immer noch um den Pistolenlauf, während der Kolben auf seiner linken Schulter liegt. Der Bruder wurde freigelassen. Ich erntete allgemeines Schulterklopfen. Eine Pionierarbeit. Sie wurde in ausländischen Zeitschriften veröffentlicht. Sigrid dagegen applaudierte überhaupt nicht. Sie verstand sich nicht auf die Schönheit dieser Details. Was ich ihr nicht vorwerfe. Aber schlimmer war, dass sie nicht einmal stolz auf mich war. Ich, der Beste meines Jahrgangs, wühlte in Leichen, statt Menschen zu retten. Ich mochte ihr nicht

Weitere Kostenlose Bücher