Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
größten Zeitungen abdrucken:
    Soeben nach Kopenhagen heimgekommen, erfahre ich zu meiner tiefsten Bestürzung, dass Notto Fipp verstorben ist und dass es deshalb nichts aus unserem nächsten Wettkampf werden wird. Als Kamerad und Freund war er unvergleichlich. Er besaß alle guten Eigenschaften, mit denen er nach bestem Wissen und Gewissen versuchte, seinen Freunden zu helfen. Der Sportsmann Notto Fipp sollte ein Beispiel sein, dem alle Jungen folgen, er war »a gentleman of the sport«, immer aufrichtig, ließ nie jemanden im Stich und vertraute deshalb selbst auch immer seinen Mitmenschen. Er erkannte stets den Sieger an und verhöhnte nie den Besiegten. Ehre sei der Erinnerung an den norwegischen Sportler Notto Fipp. Kopenhagen. Juli 1931. Sigurd Bernt. Gern das Steak genannt.
    Notto Fipp wurde in der Kirche von Hornnes beigesetzt. Bereits vor neun Uhr kamen Menschen, um sich von ihm zu verabschieden, mehr als dreihundert, wenn ich nicht falsch gezählt habe oder mich falsch erinnere. Das Mittelschiff der achteckigen Kirche war bedeckt mit Kränzen und Gestecken von fern und nah; besonders fiel mir der Kranz von diesem Sigurd Bernt auf: Ein letzter Gruß von deinem Freund, dem dänischen Ochsen. Ich saß ganz hinten und hatte das Gefühl, nicht willkommen zu sein. Es wurde ein Lied gesungen, das H. T. Moseid selbst geschrieben hatte und aufführte. Ich begnüge mich mit dem letzten Vers, obwohl es so viele gab:
    Schlafe gut, es kommt der Tag
    voll Licht, nach der Nacht, so schwarz
    Wenn du wieder mit den Freunden
    voller Freuden zusammentriffst
    Wo dieser treffliche Gott bei dir ist
    Und die Nacht zum Morgen wird
    Als der Sarg hinausgetragen wurde, kam es leider zu einer Szene. Eine Dame, die ich leider nicht ignorieren konnte, obwohl ich sie noch nie gesehen hatte, ging an mir vorbei. Sie war verhärmt, ruppig, eine hässlichere Person hatte ich selten gesehen. Niemand wollte etwas mit ihr zu tun haben. Außer mir. Ich hielt sie auf. Sie war auch noch widerborstig, dick und abstoßend. Ich sagte, dass ich Nottos nächster Angehöriger sei, worüber sie nur lachte. Da gab ich ihr das Gedicht, das er für sie geschrieben hatte, und einen Moment lang blieb sie sprachlos und wie vom Blitz gerührt stehen, fast schön, im Lichte der Erinnerung. Ich werde es nie vergessen, dass ein Mensch so überrumpelt werden kann, dass seine Menschlichkeit zu Tage tritt, unvorbereitet und jäh. Diese Erfahrung nahm ich, rein fachlich gesehen, mit. Als ich nach Besserud heimkam, und das dauerte seine Zeit, saß Sigrid immer noch auf der Terrasse, die Wespe war zum Glück fort, und in dem Moment wurde mir klar, dass ich nicht mehr der Zweitverrückteste war, ich war aufgerückt, ich war der Verrückteste und sollte es ab jetzt immer bleiben.
    »Bist du jetzt zufrieden?«, fragte Sigrid.

POST FESTUM
    Ein Kinderschuh auf dem Boden einer Sahnekanne. So sollte es enden. Aber es ist noch eine Woche hin, bis ich dem heiligen Angesicht zuvorkommen und es um meinen achtzigsten Geburtstag bringen will. Ich habe also noch Zeit übrig, und wozu sonst kann ich sie nutzen, als dazu, die Zeit vergehen zu lassen? Und einige Ereignisse müssen noch aufgeführt werden, abgesehen von dem finsteren Jahrzehnt, das auf Notto Fipps Begräbnis in der Kirche von Hornnes folgte. Die Geschichte wiederholte sich auf banale, tragische Art und Weise. Es gab Zusammenbrüche, Arbeitslosigkeit, Tumulte und Blasmusik. Und in diesem bösartigen Chaos nahm die Zahl der Selbstmorde zu. Es wurde fast zu einer Epidemie. Leute warfen sich vor den Zug, sie erhängten sich auf dem Dachboden oder im Keller, ganze Familien verbrannten, und es war selten ein Unfall oder ein entschuldbares Missgeschick, oh nein, das Feuer war gelegt, meistens vom Vater des Hauses, der Konkurs gegangen war oder sein Erspartes verloren hatte und so erbärmlich war, seine drei Kinder und die Ehefrau gleich mit in die Flammen zu ziehen. Zumindest das ersparte uns mein Vater. Ich möchte nicht ins Detail gehen und beschreiben müssen, wie verbrannte Kinder aussehen, wenn von ihnen überhaupt etwas außer Staub und Knochen übrig ist, und das ist es meist. Wir finden sie verkohlt und entstellt, aber dennoch wiederzuerkennen, mit Armen und Beinen in so speziellen Posituren, dass man glauben könnte, sie hätten versucht, das Feuer zu löschen oder vor ihm wegzulaufen, aber vergebens. Der abgehärtetste Gerichtsmediziner erstarrt bei so einem Anblick. Es wurde eng in der Mäusehalle im Rikshospital

Weitere Kostenlose Bücher