Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
hatte einen Jungen mit einem Januskopf geboren, also mit zwei Gesichtern, eines auf jeder Seite. Die Mutter verlor den Verstand, als sie ihn leider durch ein Missverständnis zu sehen bekam, eine unerfahrene Krankenschwester wusste es nicht besser. Die Mutter wollte ganz einfach nichts von ihrem doppelten Kind wissen. Dachte sie nicht daran, dass sich dieses Kind nie würde wegdrehen können? Die beiden Gesichter sahen sich übrigens nicht ähnlich. Man hätte nicht gedacht, dass sie miteinander verwandt waren. Dieses doppelte Kind starb nach vier Stunden eines natürlichen Todes, wenn man es so sagen darf. Es wurde nämlich beschlossen, dass Janus, wie wir oder sie, die Gynäkologen, ihn nannten, keine weitere Behandlung bekam, obwohl er sowohl Sauerstoff als auch Blut brauchte, das wäre notwendig gewesen, um das Leben in den beiden Gesichtern zu erhalten. Wir ließen der Natur ihren Lauf, wie es heißt, was sie dann auch tat. Ich habe es selbst gesehen und hatte niemals etwas Ähnliches gesehen, weder vorher noch später: das eine Gesicht schlief zuerst ein, während sich das andere dagegen wehrte, schrie, den Mund aufriss, nach Luft schnappte, bevor es auch starb. Hinterher, unten in der Mäusehalle, zerteilte ich den Januskopf und konnte zu meiner Verwunderung feststellen, dass das Kind bereits ein weit entwickeltes Gehirn besaß. Und beim Anblick dieses prachtvollen Organs musste ich unweigerlich daran denken, welche Fähigkeiten hier verloren gegangen waren, welcher Mensch uns hier wahrscheinlich entgangen war. Das Zelt, die Basis, die Brücke, dura mater, alles war an Ort und Stelle. Man brauchte nur laut Professor Ziehens Karte der grauen Masse zu folgen und fand den ganz außergewöhnlichen Menschen, dem nach nur vier Stunden ein Ende gesetzt worden war, oder genauer gesagt, zunächst nach vier Stunden, dann nach vier Stunden und einer halben Minute! Mathematiker! Musiker! Vielleicht beides. Und dann noch zwei Gesichter! Gott hatte uns sein bestes Modell geschickt. Was ich natürlich nicht sagte. Ich dachte darüber nur auf dem Heimweg nach. Zu Hause war das Wohnzimmer voll fremder Frauen, junger und kräftiger. Zuerst dachte ich, es wäre die feminine Abteilung des Tennisclubs, die sich hier versammelt hatte, und wollte mich ungesehen vorbeischleichen, weiter an meiner Doktorarbeit arbeiten und mich nicht durch den Kampf des Tages stören oder meine Gedanken ablenken lassen. Da entdeckte ich jedoch einen Herrn, der mir bekannt vorkam, ein abstoßender Herr, unangenehm bis zum Äußersten. Er stand vor den Frauen und hielt ihnen eine Predigt. Es war kein anderer als Vidkun Quisling, der Mann, den ich fast freigesprochen hatte, der Anführer der »Nationalen Einheit«. Jetzt stand er in meinem Wohnzimmer und redete. Was mir überhaupt nicht gefiel. Ich will keine Zeit damit vergeuden, zu wiederholen, was dieser Taugenichts aus der Telemark auf dem Herzen hatte, es sollte den meisten bekannt sein. Ich möchte nur sein Haar erwähnen. Es ist ohne jeden Zweifel festgestellt worden, dass eine zu straffe Frisur, Nervenleiden, Migräne, Gesichtsschmerzen und Schlaflosigkeit verursachen kann, etwas, worauf beispielsweise Lund bei diversen Gelegenheiten hinwies. Mehr will ich dazu nicht sagen. Aber was mich vor allem verwunderte, war, welche Wirkung diese pompöse, gestotterte und unbeholfene Rede auf diese Frauen hatte, die anscheinend doch gar kein Tennis spielten. Sie seufzten. Sie applaudier ten. Sie beugten sich vor, als wollten sie diesen albernen Kaiser eigenhändig berühren. Leider entdeckte Quisling mich, bevor ich in Sicherheit war, und er unterbrach sein Gelaber, während die Frauen sich, eine nach der anderen, zu mir umdrehten, und da stand ich, ein Eindringling in meinem eigenen Heim.
    »Vielleicht möchte Doktor Hval die Versammlung mit einigen Erfahrungen aus seinem Beruf bereichern?«, fragte Quisling.
    »Der Stimmung nach zu urteilen denke ich, dass Herr Quisling sie bereits genügend bereichert hat«, erwiderte ich.
    Eine der Frauen ergriff das Wort.
    »Wir würden gern etwas von Ihnen hören, Doktor Hval!«
    Eine andere sagte:
    »Erzählen Sie uns, was Sie heute getan haben!«
    Ich gab mir den Anschein, als würde ich mich zieren.
    »Ach, das waren nur ganz übliche Übungen, die die Damen höchstens langweilen würden.«
    Selbst Quisling beharrte auf seine plumpe Art auf der Aufforderung:
    »Sie werden sich doch nicht über den Wunsch der Damen hinwegsetzen und uns einen kleinen Einblick in Ihr

Weitere Kostenlose Bücher