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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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mir seinen Arm auf die Schulter und führte mich entschieden hinaus in die Eingangshalle, und hier, als wir einen Augenblick allein waren, während die Mutter der Küche Bescheid gab, flüsterte er mir zu:
    »Darf ich dich nach einer Kleinigkeit fragen, so von Mann zu Mann?«
    »Aber natürlich.«
    »Was bedeutet das eigentlich, was du in der Aula gesagt hast?«
    Ich wollte ihn ein wenig auf die Folter spannen.
    »Was?«
    »Scheiße. Du weißt genau, was ich meine, Bernhard.«
    »Nein, ich kann nicht ganz folgen.«
    Der Vater sprach noch leiser.
    »Schwanz in … Schwanz in …«
    »Ach so. Im Riesenrad.«
    »Und was zum Teufel bedeutet das?«
    »Riesenrad? Das ist ein kleines Loch im Mast mit einer Seilrolle, um das Seil zu hissen.«
    Er blieb einen Moment lang stehen, es arbeitete in seinem Kopf.
    »Machen die Studenten heutzutage so etwas?«
    Ich zuckte mit den Schultern.
    »Es kommt vor.«
    Der Vater trat noch einen Schritt näher, es wurde unangenehm.
    »Es ist mir scheißegal, was du da unter diesen ungehobelten Studenten redest, solange du es nicht auf der Hochzeit meiner Tochter tust! Haben wir uns verstanden?«
    Wir hatten uns verstanden.
    Jetzt wusste ich nur, dass ich nicht daran denken durfte, ich durfte nicht an Schwanz im Riesenrad denken, denn sonst würde sich das festsetzen, und ich würde es sagen müssen, Schwanz im Riesenrad, ich durfte es nie wieder sagen.
    »Schwanz im Riesenrad«, sagte ich.
    Zum Glück kam da die Mutter zurück, gefolgt von dem Diener, der mir die Mütze mit einer leicht überheblichen, auf jeden Fall übertriebenen Verbeugung überreichte, daran gab es keinen Zweifel. Er hatte sie nach allen Regeln der Kunst gesäubert und geputzt, selbst das Schweißband war fort, und die goldene Kordel auf dem Schirm war neu gedreht und strammgezogen worden, oh ja, es stand fest, er verhöhnte mich, ich stand unter ihm, ich stand tiefer als der Diener.
    Ich verbeugte mich genauso tief, nein, noch tiefer. Mein Vater hatte mich gelehrt, mich zu verbeugen. Ich war ein ausgezeichneter Verbeuger.
    »Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll«, sagte ich.
    Die Mutter unterbrach mich, etwas beschämt, natürlich in meinem Namen.
    »Schon gut, Bernhard. Bist du dir sicher, dass du nicht zum Essen bleiben willst?«
    Wieder antwortete der Vater für mich, als wäre ich bereits in absentia:
    »Bernhard hat vieles zu überdenken.«
    Ich richtete mich auf und schaute ihn an.
    »Haben wir das nicht alle?«, fragte ich, »vieles zu überdenken?«
    Wir verabschiedeten uns voneinander.
    Dann fuhr ich nach Hause und war bei weitem nicht mehr so gut gelaunt wie vorher, als ich in die andere Richtung gefahren war. Schwermut hatte mich überfallen, diese schwere Melancholie, die einen im Gegensatz zu dem Leichten, Flüchtigen, das zeitweise angenehm ist und regnerischen Sonntagen ähnelt, hinabzieht, nach unten, Schwermut ist ein Bleilot vom Herzen, ein Klotz am Bein, ein Mühlstein um den Hals. Ich warf die Mütze in ein Waldstück, und einige Tauben flogen auf. Baut doch ein Nest da drinnen! Scheißt hinein! Das ist mir ganz egal! Mein einziger Trost war, dass ich meine Schwermut und meine Unruhe so laut hinausschreien konnte, wie ich nur wollte. Es hörte mich ja doch niemand. Oh, ihr Bartholonischen Drüsen! Oh, Hodensack, Prälapsus und hängende Ärsche! Ja, ja! Hier kommt Bernhard Hval, ein harmloses Monster, ein kantiger Papagei, sein eigener Chauffeur und Feind! Brüllen und fahren! Vielleicht könnte mich die neue Zeit mit all ihrem Treiben und all ihren Speedometern und Orchestern verbergen? Wenn ich in meiner eigenen Zeit aufginge, konnte ich dann vielleicht unsichtbar werden? Eine bestechende Idee. Aber wenn jemand glaubt, dass ich nach solchen Ausbrüchen einem gepflegten Monat oder zweien entgegensehen konnte, der irrt sich leider. Es braut sich nur alles zusammen. Der Zwang ist nicht zu umgehen. Vielleicht kann ich mich eine Woche lang im Zaum halten, doch dann bricht es wieder hervor. Oh, du Donnervulva!
    Ich hielt an der Stelle an, wo ich Notto Fipp getroffen hatte. Ich war auf heiligem Boden. Ich zündete mir eine Zigarette an und blieb eine Weile so stehen, mit geschlossenen Augen. Wie weit er wohl gekommen war? Ich warf die Kippe fort und öffnete die Augen. Der Himmel war bereits von der dunkelblauen Sorte.
    Dann fuhr ich weiter.
    Doch bald überkam mich eine Unruhe. Was war das? Da war etwas. Es war die Kippe. Hatte ich sie ausgedrückt? Ich machte um 180 Grad kehrt, dass die alten

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