Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
fuhr das Gokstadschiff auf den Drammensveien, und wir gingen in die andere Richtung, durch den Schlosspark.
Oh je, ich elender Bukoliker!
Wie dem auch sein, Notto Fipp fühlte sich gleich besser, als er auf die Fußwege kam, zwischen den Bäumen, nach Grotten hin. Er nahm Geschwindigkeit auf, ruderte heftig mit den Armen, eine entgegengesetzte Bewegung zu den Beinen, was notwendig ist, während ich zurückblieb, vielleicht ließ ich ihm auch nur einfach diesen Vorsprung. Es gab mir die goldene Chance, seinen Gang genauer zu studieren. Und wer glaubt, dass der Gang eine einfache Sache ist, etwas, das von alleine vor sich geht, buchstäblich gesprochen, der irrt sich. Das Gehen ist ein gewissenhaftes Studium wert, und der Gedanke, es zum Thema meiner Doktorarbeit zu machen, war keineswegs beiseitegeschoben. Ich hatte sogar schon eine Definition zusammengeschustert. Das Gehen, der Tatbestand, bei dem der Körper sich mit Hilfe der Muskelkraft der Beine von einem Ort zum anderen bewegt . Mein Ziel war es, zu beweisen, dass die Eigenart eines Individuums in seiner Gangart liegt, vom unsicheren Gehen des Kindes, über die elastischen Sprünge der Jugend und dem festen Schritt des Erwachsenen bis wieder zurück zu der hilflosen Beinführung des Greises. Mit anderen Worten: Der Mensch geht im Kreis, ebenso schwankend in die Welt hinein wie aus ihr heraus. Aber ich wollte diese offensichtlichen Observationen nicht breittreten. Ich wollte dem Thema einen psychologischen und sozialen Blick hinzufügen: Der Bauer ist schwer zu Fuß, während der Seemann leichten Fußes ist. Der Fischer geht langsam und schwankend. Der Reiter hat O-Beine. Diejenigen, die im Büro sitzen, haben einen weniger sicheren Gang, oft mit vornübergebeugtem Körper. Beim Militär muss der Gang taktfest sein. Kurz gesagt, bei dem Gang des energischen, tatenlustigen Menschen ist der Schritt schnell und sicher. Bei den Faulen und Schlaffen ist der Gang ungleichmäßig, schleppend. Daneben kann man, etwas spezifischer, behaupten, dass der Phlegmatiker ruhig und besonnen geht, der Sanguiniker leicht und der Choleriker schnell. Der Melancholiker steht entweder still, oder er geht im Kreis. Was war Notto Fipp? Er ähnelte keinem. Er war nur er selbst. Und diese Annahme will ich umkehren, er ging nicht für sich, er ging auch von sich, an einen Ort, wo er Ruhe finden konnte. Ich möchte noch einmal an sein Motto, seinen Wahlspruch erinnern: Wenn ich gehe, denke ich weniger. So ging er für uns alle. Außerdem möchte ich gern den alten, mehrdeutigen Begriff einen Fuß auf den Boden pflanzen in Erinnerung rufen, der bedeutet, einen Halt zu finden, der aber gleichzeitig einen anderen Zustand mit einbezieht, das Gegenteil vom Halten, nämlich die Bewegung, das Gehen. Notto Fipp pflanzte einen Fuß nach dem anderen auf den Boden. Im Gehen fand er seinen einzigen Halt. Aber genug davon, wir sind ja nicht mitten in einer Dissertation, sondern in einer Festschrift. Jetzt blieb Notto Fipp auf dem Weg stehen, drehte sich zu mir um, lächelnd, und zwirbelte seinen dünnen Bart zwischen den Fingern.
»That’s all right«, sagte er.
Wir setzten unseren Weg fort und waren die ersten Kunden, die an diesem Morgen bei Franck im Bogstadveien eingelassen wurden. Wir hatten das gesamte Herrenausstattungsgeschäft für uns, und achtzehn Verkäufer, auf vier Etagen verteilt, standen zu unserer Verfügung. Einige dieser Verkäufer, besonders die jüngeren, ohne weitere Ausbildung, musterten Notto Fipp mit einer gewissen Missbilligung, ja, höhnischem Grinsen, aber ich schickte ihnen dafür einen Blick zurück, der deutlich verkündete, dass Franck im Bogstadveien einen guten Kunden und Arbeitsplätze verlieren würde, wenn sie sich nicht in Acht nahmen, dass das Renommé des gesamten Ladens auf dem Spiel stand. Es könnte ja sein, dass wir unseren Einkauf zu Øye ein Stück weiter oben in der Straße verlegten. Wir waren in den ersten Stock gekommen, in die Damenabteilung. Notto Fipp seinerseits bemerkte weder Blicke noch Grinsen. Er schaute sich nur mit großen Augen um, betrachtete die schicken Garderoben, Seide, Hüte jeder Façon, Schals, hochhackige Schuhe und nicht zuletzt die Unterwäsche, die in Glasvitrinen lag. Er war vielleicht in Kuba und Amerika gewesen, aber Franck im Bogstadveien, das war etwas anderes. Er war fast nicht vom Fleck zu kriegen.
»Ich vermisse eine Weibsperson«, sagte Notto Fipp.
Und bevor ich wegschaute, bemerkte ich, dass er etwas aus der Krempe
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