Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
großen Kopf und einen nur gering entwickelten Verstand beschert. Es war Sigrids Geld, von dem ich zehrte. Aber alles für die gute Sache! Alles für die gute Sache! Ich würde es ihr zurückzahlen. Mit Zinsen und Zinseszinsen würde ich es ihr zurückzahlen. War ich etwa nicht ein Mann von Ehre. En avant! Bald war ich in Lohn und Brot und konnte sie Tag und Nacht versorgen.
Aber jetzt war ich erst einmal fast pleite.
Wir gingen hinunter zu Sim. Solberg im Hegdehaugsveien und fanden Plätze an einem Fenstertisch. Wir verdienten eine Pause. Notto Fipp wirkte erschöpft. Ich auch. Ich glaube, er wäre am liebsten so schnell wie möglich zurück in sein Zimmer bei Frau Bye gegangen, und auch ich wollte nach Hause. Aber noch fehlte etwas. Ich musste ihn auf die Probe stellen.
Die Kellnerin kam zu uns, um die Bestellung aufzunehmen.
Notto Fipp schaute mich an.
»Bei Sim. Solberg gibt es die besten Sandwiches der Stadt«, sagte ich.
Er schüttelte den Kopf und legte den Strohhut zwischen uns.
»Kein Hunger«, sagte er.
»Kann dich nicht einmal ein Krabbensandwich mit selbstgemachter Mayonnaise locken? Oder ein Kopenhagener?«
Ganz im Gegenteil:
»Ich werde zu dick.«
Ich versuchte ihn noch einmal zu nötigen, aber in erster Linie um meiner selbst willen. Ich hatte es zumindest versucht:
»Und wie wäre es mit einem süßen Brötchen?«
Notto Fipp wiederholte:
»Ich darf vor der Tour nicht dick werden.«
Ich schaute zur Kellnerin, die tat, als wenn nichts wäre, während sie dort stand und genau zuhörte. So soll es sein.
»Einen Kaffee und ein Glas Milch bitte.«
Wir sagten erst wieder etwas, als die Tasse und das Glas auf dem Tisch standen.
Aber wir mussten beide den Strohhut anschauen, der fast durchsichtig war, mit einem blauen Band um die Krempe, durch das die ganze Chose zusammengehalten wurde. Und hier hatte er also das Gedicht für die treulose Gro versteckt, das er in seiner frühesten Jugend geschrieben hatte. Doch darüber sprachen wir nicht. Und jetzt, während ich diese Kapitel schreibe, hier in meinem erbärmlichen Büro im Skovveien, genau fünfzig Jahre später, kann ich nicht umhin, zu denken, dass es ein Trauerband war, ein Band, das uns zusammenhielt, aber nicht nur in Trauer, sondern auch in Freude, ein Freudenband und ein Trauerband, in einem einzigen Knoten gebunden. Ich muss mich selbst daran erinnern, das nicht zu vergessen.
»Festivita lente«, sagte ich.
Notto Fipp nickte und trank Milch.
Ich übersetzte es lieber für ihn:
»Wir müssen uns beeilen …«
Notto Fipp unterbrach mich.
»Langsam. Ich habe nur drei Jahre die Schule besucht, aber deshalb bin ich nicht dumm.«
Notto Fipp leerte sein Glas, und ich senkte meinen Blick, beschämt, demütig, und das zu Recht. Wer war ich im Vergleich zu ihm? Niemand. Eine Null. Eine eckige Null ohne jeden Inhalt, die nicht mehr von der Welt gesehen hatte als Besserud, Kneipps Kur und Franck im Bogstadveien.
»Was ich damit meine: Wir müssen uns entscheiden, ob die Tour vor oder nach der Hochzeit stattfinden soll«, sagte ich schließlich auf Norwegisch.
»Möglichst vorher«, sagte Notto Fipp.
»Das ist auch meine Meinung. Aber das ist riskant.«
»Du glaubst, ich schaffe es nicht?«
»Als dein Arzt und dein Freund, gern in umgekehrter Reihenfolge, als dein Freund und Arzt, ist es meine Pflicht, es klar heraus zu sagen.«
Ich holte Stift und Papier hervor.
»Wollen wir jetzt die Reden schreiben?«, fragte Notto Fipp.
»Wir wollen den Status festhalten. Du hast bereits vier Paar Schuhe, die du unterwegs wechseln kannst.«
»Die muss ich selbst tragen.«
Notto Fipp hatte recht. Seine Rechtschaffenheit war vorbildlich und selten. Das kann nicht oft genug gesagt werden. Vorbildlich! Selten! Ich strich das letzte Paar von der Liste.
»Natürlich musst du die Schuhe selbst tragen. Deshalb begnügen wir uns mit drei Paar schottischen Wanderschuhen mit den dazugehörigen Einlegsohlen und Schnürsenkeln. Du brauchst auch Collodiumpflaster in Reserve für eventuelle Druckstellen, Hühneraugen oder Schwielen. Ich wiederhole: eventuelle! Wir müssen das Schlimmste fürchten und das Beste hoffen! Wir haben auch Branntwein in Reichweite.«
»Du tust zu viel für mich, Bernhard Hval«, sagte er.
»Ganz und gar nicht, mein Freund. Ich kann gar nicht genug tun.«
»Aber ich trinke nicht.«
»Der Branntwein wird nur äußerlich angewendet. Und du musst mitnehmen, was du an Bananen brauchst.«
Notto Fipps Miene erhellte sich.
»Die
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