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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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nicht hier übernachten?«
    Sigrid drehte sich zu mir um.
    »Wir sind doch noch gar nicht verheiratet, Bernhard. Außerdem muss ich ihr erklären, dass sie höchstwahrscheinlich mit einem Mann tanzen muss, der Notto Fipp heißt.«
    Und damit ging sie.
    Ich blieb in Gedanken versunken stehen, wie lange, das weiß ich nicht. Aber merkwürdigerweise fühlte ich mich aufgekratzt und übermütig und dachte, dass ich in dieser außergewöhnlichen Laune eine Rede schreiben könnte, die meine echte Liebe zu meiner Braut, Sigrid, ausdrückte. Zuerst musste ich aber hinter ihr her räumen. Dann setzte ich mich in die Küche, mit einer Flasche echtem Cognac, einem Blatt Papier und einem Stift. Es dauerte und dauerte. Die Worte wollten nicht heraus. Sie saßen fest. Die Formulierungen, von denen ich dachte, ich würde sie nur so aus dem Ärmel schütteln, waren verschwunden. Und als die Flasche leer war, war das Papier immer noch leer. Ich traf eine Entscheidung. Meine vorherige Rede, gehalten in der Aula der Universität, noch frisch in Erinnerung, vom Schwanz im Riesenrad, beschloss ich, dieses Mal ohne Manuskript zu halten. Ich würde frei von der Leber weg sprechen und keine Umwege machen.
    Dann kam ich in dieser unruhigen Zeit endlich zur Ruhe und schlief am Küchentisch ein, zufrieden mit meinem Entschluss und berauscht vom Cognac, fachlich vertretbar, wohlgemerkt, da Cognac als Medizin betrachtet in entsprechenden Portionen getrunken werden darf, um eine schwindende Lebenskraft zu stützen, die Nerven zu behandeln und das Herz und andere Muskeln zu aktivieren. Und hatte ich nicht einen immensen Einsatz gezeigt? Hatte ich etwa nicht im Laufe eines einzigen Abends eine fantastische unsichtbare Rede geschrieben und Widerspruch eingelegt?
    Oh, boletus luridus!
    Am nächsten Morgen wachte ich erst vom Telefon auf, das klingelte. Es war Frau Bye von Frau Byes Hotel. Notto Fipp war nicht mehr zu bändigen. Er hämmerte gegen die Türen. Er wollte raus. So konnte es nicht weitergehen. Ich musste kommen. Und ob ich kam! Ich schnappte mir meine Arzttasche und eine Extragarnitur Kleidung, damit er so wenig Aufsehen wie möglich erregte, und fuhr, was die Riemen und das Zeug hielten, hinunter zu Frau Byes Hotel am Egertorget. Dort warteten Frau Bye und zwei verschreckte Zimmermädchen. Ich bat sie, in der Rezeption zu bleiben, und lief hoch zu Notto Fipp. Der saß auf der Bettkante, nur in Unterwäsche, noch so mager wie beim letzten Mal, und wiegte sich hin und her, ein äußerst schlechtes Zeichen, was seinen Sinneszustand betraf. Ich setzte mich neben ihn, holte eine Pipette hervor, und bevor er noch wusste, was los war, hatte ich ihm bereits einen Tropfen Blut aus dem Ohr entnommen.
    »Und jetzt eine kräftige Dusche, mein Freund!«
    Ich holte ein Handtuch und folgte Notto Fipp zu der Kabine am Ende des Flurs. Und ich musste in den sauren Apfel beißen, wie man so sagt, ich musste es mir verbeißen, musste nämlich eine der Methoden des Quacksalbers Kneipp empfehlen, und zwar den raschen Wechsel zwischen kaltem und heißem Wasser, gern drei Abreibungen am Stück, denn hier gab es nur eins, auf das Rücksicht genommen werden musste, und das war Notto Fipps Gesundheit. Er gehorchte. Ich wartete draußen und hörte das Wasser laufen. Und als er wieder zum Vorschein kam, erschien er viel gesünder. Zu meiner Zufriedenheit konnte ich sehen, dass seine Magerkeit ein Teil seiner zähen Natur war, er war sehnig und ohne ein Gramm überflüssigen Fettes, doch er selbst war nicht überflüssig, er war notwendig, ein Vorbild und ein Spiegel, das war er. Dennoch brauchte er etwas, von dem er zehren konnte, ein Reservoir, aus dem er schöpfen und sich nähren konnte. Ich würde Notto Fipp zu einem norwegischen Kamel machen. Wir gingen zurück ins Zimmer, und er zog den Anzug von mir an, den ich ihm mitgebracht hatte. Er schlotterte an ihm, und ich bin nun wirklich kein Fettsack. Aber das musste genügen. Doch auf seinen abgewetzten Strohhut wollte er nicht verzichten. Als wir hinunter zur Rezeption kamen, glaubten Frau Bye und ihr Personal trotzdem, ich hätte einen anderen Mann bei mir.
    »Das ist nur der Anfang«, sagte ich.
    Und mehr Worte fielen bei dieser Gelegenheit nicht.
    Wir gingen hinaus.
    Es war noch früher Morgen. Die Geschäfte würden bald öffnen. Die Stadt würde bald ihre Tore aufschlagen und Kunden, Büroleute, Revisoren, Politiker, Schlachter, Verkäufer, Polizisten, Gäste, Notto Fipp und mich entgegennehmen, um nur

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