Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
des Strohhuts zog, ein Papierstückchen mit einem handgeschriebenen Gedicht darauf. Ich schaute weg, denn dieses intime Geständnis machte mich verlegen und gleichzeitig dankbar. Ich wusste, dass ich hiermit sein Vertrauen gewonnen hatte. Schnell schob er das Gedicht wieder an seinen Platz.
»Lass dich von den Weibspersonen nicht verwirren«, sagte ich.
Schließlich gingen wir weiter in den nächsten Stock, wo die beiden eleganten und makellosen Verkäufer und ein ebenso wohlsituierter Schneider uns entgegenkamen, zögernd, aber auch ehrfürchtig, und sie erkannten mich natürlich wieder, Bernhard Hval, denn sie waren es gewesen, die sich um meine großartige Bekleidung gekümmert hatten, als ich vor den frischgebackenen Medizinern und ihren Vorgesetzten und Verlobten und nicht zuletzt den Professoren, wissenschaftlichen Mitarbeitern und dem ganzen Verein in der Aula eine Rede gehalten hatte. Es schien mir Jahre her zu sein. Dabei handelte es sich nur um einen Sommer und ein paar Wochen. Trotzdem lag ein Leben dazwischen. Notto Fipp hielt sich im Hintergrund. Der Strohhut saß wieder auf seinem Kopf. Die Verkäufer warfen ein paar herablassende Blicke über meine Schulter, auf Notto. Schleppte ich solche Penner mit mir zu Franck im Bogstadveien? Ja, von der Seite war wohl nichts anderes zu erwarten. Ich konnte ihre Körperhaltung einfacher lesen als eine Überschrift oder ein Reklameschild vor einem Kino, aber ich machte keine Affäre daraus. Das war es nicht wert. Sie waren die Mühe nicht wert. Sie waren alles andere als makellos, auch wenn sie glänzten. Und wenn wir, die Kantigen, jedes Mal eine Affäre daraus machen wollten, dann würde die Zeit eine andere sein, und die Zeit ist, wie schon gesagt, kostbar für uns. Wir üben lieber Nachsicht.
Der Schneider begrüßte mich mit Handschlag.
»Darf ich Ihnen zu Ihrem Examen gratulieren. Der Beste seines Jahrgangs. Ich habe es im Aftenposten gelesen. Das ist einzigartig.«
»Oh, danke schön. Es kommt natürlich darauf an, wie gut die anderen sind.«
Wir lächelten über unsere Bescheidenheit, falsch und von Herzen.
Die Stimme des Schneiders wurde leiser.
»Wie geht es Ihrer Mutter?«
»Sie ist in Neuseeland, es geht ihr gut dort.«
Eine Weile Schweigen, nur das Rascheln von Maßbändern und vielleicht eine Nadel, die ein paar hundert Stockwerke hinunterfiel.
»Und Alfred, wie …«
Ich unterbrach den Schneider.
»Still going strong«, sagte ich. »Still going strong. That’s all right. Oh ja.«
Noch ein Schweigen kam und ging.
»Womit kann ich den Herren heute dienen?«, fragte der Schneider.
»Vielleicht mit einer Weibsperson oder zweien«, antwortete ich.
Oh, lapsus calami! Lapsus linguae! Sogar lapsus memoriae!
Wir lachten leise unter uns Herren.
Es gibt nichts, was dem Besten seines Jahrgangs erspart bleibt.
Der Schneider, äußerst korrekt:
»Ist der Junggesellenabschied bereits in Gang, Herr Hval?«
»Wie bitte?«
Als hätte ich vergessen, dass ich heiraten würde! Aber an den Junggesellenabschied, an den hatte ich nicht gedacht. Ein Polterabend ganz allein, das war wohl etwas gewagt, Alfred konnte ich auch nicht fragen. Das fehlte gerade noch. Ihn erst rausschmeißen und dann zu einer Feier einladen. Und Notto Fipp derartigen Beanspruchungen auszusetzen, wie sie ein Junggesellenabschied mit sich bringt, das kam auch nicht in Frage.
In diesem Augenblick bei Franck im Bogstadveien wurde mir meine Einsamkeit bewusst.
Der Schneider fuhr mit den Fingern über das Maßband, das er immer um den Hals trug.
»Ich habe es im Aftenposten gelesen. Dass Sie verlobt sind mit …«
Wieder unterbrach ich ihn und wandte mich Notto Fipp zu, um die Sache endlich in Schwung zu bringen.
»Das stimmt! Ich werde heiraten. Und wie! Ich meine, wie gut! Ich nehme genau das Gleiche wie letztes Mal. Aber dieses Mal ist es für meinen Trauzeugen. Macht ihn zurecht. Die Zeit ist knapp! Die Ressourcen sind groß!«
Und somit kam Schwung in die Sache.
Wir suchten die Dinge von dem obersten Regal aus, und das bedeutete einen Boswell Frack mit allem Zubehör, Perlmuttknöpfe, Silbermanschetten, weiße Weste, weiße Schleife, weiße Hosenträger, schwarze Strümpfe und glänzende Lackschuhe. Ich musste mit Notto Fipp in den Umkleideraum. Er zitterte. Aber was tut man nicht alles. Was tut man nicht alles mit Freuden. Wir mühten uns eine Weile ab. Und dann schob ich ihn hinaus zu den Spiegeln, wo der Schneider und die Verkäufer bereits warteten. Doch da wurde
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