Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
uns ausgeglichen, sie war nur anders verteilt. Sie legte ein Bein über die Armlehne, und sie trug nicht viel darunter. Um nicht von diesem Ausblick erregt zu werden, möchte ich nur daran erinnern, dass ich vor ihr kniete, um alles wiedergutzumachen. Aber ich war ein wenig kühl und introvertiert geworden. Das lag an dem Gerede von einem Kind.
»Ich habe einen Trauzeugen gefunden«, sagte ich.
Sigrid zögerte einen Moment, legte das Bein wieder an Ort und Stelle, unnötig langsam, als wollte sie mir noch eine Chance geben. Als ich diese nicht ergriff, zündete sie sich eine Zigarette an.
»Etwas nicht in Ordnung, Bernhard?«
»Nicht in Ordnung? Wieso?«
»Es scheint mir, als wärst du mit deinen Gedanken woanders.«
»Ganz und gar nicht. Ich habe nur gesagt, dass ich einen Trauzeugen gefunden habe. Meine kleine Huri!«
Ich küsste noch einmal ihre Knie und lag mit anderen Worten immer noch auf den Knien.
Sigrid blies Ringe an die Decke.
»Findest du Tora hübscher als mich?«, fragte sie.
»Tora hübscher als dich? Hast du den Verstand verloren? Sie liegt Meilen hinter dir.«
»Findest du sie also hässlich? Ist meine Trauzeugin deiner Meinung nach hässlich?«
»Nein, das habe ich doch gar nicht gesagt. Dass sie Meilen hinter dir liegt, bedeutet, dass sie immer noch als hübsch zu bezeichnen ist. Sehr hübsch.«
Sigrid schien mit der Antwort zufrieden zu sein und ließ den Rest der Zigarette in eine Vase fallen. Ich wollte schon etwas dahingehend sagen, dass Vasen keine Aschenbecher sind, dass Teller, Tassen, Gläser und Flaschen auch keine Aschenbecher sind, dass die Dinge dazu geschaffen wurden, ihre Aufgabe zu erfüllen, aus ihnen zu trinken, von ihnen zu essen, einzuschenken, Blumen hineinzustellen, und nicht umgekehrt. Das war etwas, über das wir früher oder später würden reden müssen. Aber sie kam mir natürlich zuvor, wie immer.
»Es ist wichtig, dass die Trauzeugen einen guten Eindruck machen, Bernhard, aber keinen besseren als das Brautpaar. Ich hoffe, dein Trauzeuge ist nicht viel schicker als du.«
»Hand aufs Herz. Ich kann dir versichern, dass keine Gefahr in dieser Hinsicht besteht. Aber er hat einen unwiderstehlichen Charme.«
Sigrid lachte.
»Charme? Sagt man das nicht gerade über unattraktive Männer? Dass sie Charme haben.«
Ich kämpfte hart, und es gelang mir, mich und meinen Mund im Zaum zu halten.
»Da ist nur eine Kleinigkeit«, sagte ich.
»Kleinigkeiten können sich anhören wie große Dinge, Bernhard. Und was?«
»Er ist Vegetarier.«
»Vegewas?«
»Aber wohlgemerkt von der moderaten Art. Er hat einen äußerst empfindsamen Darm, der die Nahrung nicht auf gewöhnliche Art und Weise aufsaugt.«
Sigrid gab mir einen Klaps aufs Ohr, und ein Klaps von Sigrid konnte einem schon den Atem rauben.
»Hör auf! Ich will nichts davon hören!«
»Aber ich versuche es doch nur zu erklären, Sigrid.«
»Möchtest du, dass ich an die Gedärme deines Trauzeugen denke, wenn wir vorm Altar stehen?«
Ich holte tief Luft.
»Es geht nur um das Essen, Sigrid. Leider verträgt er weder Fisch noch Fleisch, aber er kann Nüsse, Obst, Käse, Milch und Bananen zu sich nehmen.«
»Bananen?«
»Und einen Likör zum Kaffee, das denke ich schon.«
»Wann werde ich dieses Geschöpf kennenlernen?«
»Du hast ihn bereits kennengelernt.«
»Habe ich? Und wer ist es?«
Ich muss zugeben, ich zögerte eine Weile, bevor ich sagte:
»Notto Fipp. Der Mann, der ging.«
Sigrid sah mich fassungslos an.
»Notto Fipp? Meinst du, dieser …«
Zum ersten Mal nahm ich all meinen Mut zusammen und unterbrach sie, schroff, entschlossen, vielleicht rief ich so gar:
»Sag es nicht! Sag das nicht! Notto Fipp ist ein Gentleman, und er ist mein Trauzeuge!«
Sigrid verstummte ein für allemal. Und ich, ja, ich bekam eine Heidenangst. Was hatte ich getan? War ich zu weit gegangen? Hatte ich den Mund zu voll genommen und Hochzeit und Zukunft aufs Spiel gesetzt? Was würde Sigrid jetzt tun? Sie stand auf, gab mir einen Kuss, einen ganz anderen Kuss, weich und leicht, so, wie Ehefrauen küssen, bildete ich mir ein.
»Danke«, flüsterte sie.
Ich war verwirrt und geschockt.
»Wofür?«
»Dass du auf mich aufpasst, wenn ich böse bin.«
Dann ging sie in den Flur und holte ihren Mantel.
»Wohin willst du?«, fragte ich.
Sigrid tat unnahbar.
Ich folgte ihr.
»Du kannst jetzt nicht nach Hause fahren. Es ist schon zu spät.«
»Ich will auch nicht nach Hause. Ich übernachte bei Tora.«
»Kannst du
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