Die universellen Lebensgesetze des friedvollen Kriegers
schenken.» Sie stand auf und ging wieder in die Hütte. Ich folgte ihr. Die weise Frau blickte mich über das knisternde Kaminfeuer hinweg an, und in ihren Augen schimmerte ein warmes Licht, als sie mir die Quintessenz des Gesetzes vom Mitgefühl offenbarte. «Es wird allmählich Zeit, Wanderer, daß du dich selbst und deine Mitmenschen mit neuen Augen siehst, ohne die Vorurteile und Erwartungen, die jetzt noch zwischen dir und der Welt stehen. Es wird Zeit zu begreifen, daß wir alle, Freunde wie Feinde, im Rahmen unserer Fähigkeiten unser Bestes geben.
Der Dichter Rumi hat einmal geschrieben: könnte.> Rumi konnte das schreiben, weil er begriffen hatte, daß Urteile eine menschliche Erfindung sind. Gott ist nicht dazu da, uns zu beurteilen, sondern er zeigt uns Mittel und Wege, aus unseren Irrtümern zu lernen und innerlich daran zu wachsen.» Die weise Frau wandte mir ihr Gesicht zu. «Wenn du akzeptieren kannst, daß Gott dich nicht verurteilt, warum solltest du dann andere Menschen verurteilen?» fragte sie.
«Ich gebe mir ja Mühe, andere nicht zu verurteilen», wandte ich ein, «aber was ist mit grausamen oder gewalttätigen Menschen?»
«Das Gesetz des Mitgefühls kennt keine Ausnahmen. Es gilt für alle», entgegnete sie. «Natürlich wissen wir, daß es auf dieser Welt psychisch gestörte, destruktive Menschen gibt; und wer selbst gestört ist, der stört in der Regel auch andere. Man darf sich von solchen Leuten nicht einfach fertigmachen lassen oder ihr zerstörerisches Verhalten hinnehmen, sondern muß sie manchmal von der Gesellschaft trennen. Aber man kann auch Mitgefühl für das Böse haben, ohne sich ihm zu beugen. In einem Krieg kannst du Mitleid mit deinen Gegnern empfinden, selbst wenn ihr euch auf Leben und Tod bekämpft.»
«Aber warum muß ich Mitleid mit grausamen, widerwärtigen Menschen haben? Warum darf ich nicht hassen, was hassenswert ist?»
«Das ist eine sehr wichtige Frage, und sie verdient eine klare Antwort, nur mußt du sie für dich selbst finden. Denke einmal darüber nach: Haß und Mitgefühl sind zwei verschiedene Energieformen. Von welcher dieser beiden Energien sollte unsere Welt deiner Meinung nach erfüllt sein?»
«Ich möchte dir deine Gutherzigkeit nicht ausreden», erwiderte ich, «aber es fällt mir trotzdem sehr schwer, Fanatikern
oder Menschen, die Kinder ausbeuten, freundschaftliche Gefühle entgegenzubringen.»
«Ich habe auch nie behauptet, daß Mitgefühl einfach ist!» sagte sie. «Aber einfach oder nicht, das Gesetz fordert von uns, nicht aus Haß oder Unwissenheit, sondern aus Liebe und Verständnis heraus zu handeln. Das setzt einen Aufschwung zu einer höheren Perspektive voraus. Wir müssen erkennen, daß unser Universum zwar gerecht, aber gleichzeitig auch geheimnisvoll ist. Diese tiefe Einsicht erwächst aus einer intuitiven Erkenntnis der Intelligenz, die unserem Universum innewohnt. Ob du durch Beobachtung, logisches Nachdenken oder religiösen Glauben zu dieser Erkenntnis gelangst, ist gleichgültig; letzten Endes wird sie dir offenbaren, daß du in der Natur keine Freunde und keine Feinde hast. Du hast nur Lehrer.»
«Wahrscheinlich muß man ein Heiliger sein, um nach diesem Gesetz leben zu können.»
«Das Gesetz des Mitgefühls ist eine liebevolle Aufforderung, über unsere begrenzte Sichtweise hinauszuwachsen», antwortete sie lächelnd. «Manchmal kann einen die Last dieser Aufgabe schon ganz schön niederdrücken. Also denke daran: Mitgefühl beginnt bei dir selbst. Sei sanft und geduldig. Aus unserem Geist und unserem Herzen steigen viele Gedanken und Gefühle auf, positive und negative. Du mußt kein Heiliger sein; doch statt dich ganz deinen negativen Gedanken zu überlassen oder dich gegen sie zu wehren, kannst du sie einfach in einer Woge der Liebe und des Verständnisses von deinem Mitgefühl wegspülen lassen.»
«Klingt immer noch ziemlich nach Heiligenschein.»
Die weise Frau erhob sich, ging im Zimmer auf und ab und blieb schließlich stehen. Sie wandte sich mir zu. «Kannst du dich an irgendeine erbitterte Auseinandersetzung in deinem
Leben erinnern, an einen Augenblick, wo du zornig oder neidisch warst oder dich betrogen fühltest?»
«Ja», sagte ich.
«Dann vergegenwärtige dir einmal so eine Situation», forderte sie mich
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