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Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Titel: Die Unseligen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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bemerkte Benjamin, wie nervös sie waren. Er fragte sich, ob das irgendetwas mit den Kampfhubschraubern zu tun hatte, die das Gebiet überflogen hatten. Aber diese Vermutung erschien ihm genauso absurd wie die Anwesenheit von Männern, die mit MP 5-Maschinenpistolen von Heckler & Koch bewaffnet waren, an der Zufahrt zu einem Waisenhaus.
    »Was sagst du dazu?«, fragte Jacques, als er die Gestalt erblickte, die aus einem der Gebäude auftauchte und auf sie zukam.
    Der Mann hatte einen Bauch, der die Knöpfe seines Hemdes spannte, und den erschöpften Gang eines Beamten kurz vor der Pensionierung. Benjamin konnte sich des Verdachts nicht erwehren, dass jemand, der in einer Region, in der die meisten Menschen hungerten, derart fett war, entweder an einer massiven Hormonstörung litt oder sich den Bauch mit den Lebensmittelrationen vollschlug, die eigentlich für seine Zöglinge bestimmt waren.
    »Da wir ihn aus den Federn geholt haben«, sinnierte er laut, »glaube ich kaum, dass wir ihn nur mit einer Stange Kippen dazu bringen können, uns reinzulassen.«
    »Du bist zu pessimistisch, Mann«, murmelte Jacques. Er richtete sich auf und lächelte aufgesetzt verlegen. »Guten Abend«, rief er und lehnte sich mit dem Ellbogen in den Fensterrahmen. »Sind Sie der Direktor des Waisenhauses?«
    Der Mann antwortete erst, als er auf gleicher Höhe mit ihnen war.
    »Ja«, sagte er frostig.
    Er beugte sich ein wenig vor und ließ den Blick durchs Innere des Fahrzeugs gleiten. Er hielt eine Sekunde lang inne und starrte Benjamin an, ehe er sich wieder Jacques zuwandte.
    »Tut uns wirklich leid, dass wir so spät ankommen«, fuhr Letzterer fort, »aber die Straße ist in einem schlechten Zustand und … «
    Der Direktor hob die Hand, um ihn zu unterbrechen.
    »Tut mir leid, meine Herren … « Er schnippte mit dem Zeigefinger unsichtbaren Staub von seiner Schulter. »Aber Sie können nicht hierbleiben. Sie müssen weiterfahren.«
    Jacques lächelte noch immer, aber Benjamin bemerkte, wie seine Wangen zuckten.
    »Wir sind Ärzte, und wir arbeiten für Médecins Sans Frontières . Wir wurden von UNICEF beauftragt, Statistiken zur Unterernährung in dieser Region zu erstellen.« Er öffnete das Handschuhfach und holte eine zusammengeheftete Akte heraus. »Außerdem sollen wir die Kinder gegen Röteln impfen.«
    »Sie kommen ungelegen. Heute Abend geht das nicht.«
    »Natürlich nicht, wir wollten das morgen früh tun. Und Sie könnten uns vielleicht ein Zimmer für die Nacht zur Verfügung stellen.«
    »Morgen geht es auch nicht«, äußerte er schroff. »Ich kann Ihnen nur eine gute Weiterfahrt wünschen, meine Herren!«
    Jacques räusperte sich.
    »Ich glaube, Sie haben mich nicht verstanden.« Das Lächeln auf seinen Lippen gefror, ehe es verschwand. »Wir sollen sämtliche Heime besichtigen, also auch Ihres. Wenn Sie uns den Zugang zu diesem Waisenhaus verwehren, werde ich persönlich das Gesundheitsministerium darüber informieren.« Er legte eine Pause ein und seufzte müde auf. »Und wenn Sie jetzt nicht gleich dieses verdammte Tor aufmachen, dann werde ich mit dem größten Vergnügen auch noch die internationale Presse und die internationale Gemeinschaft einweihen.«
    Das selbstsichere Auftreten des Missionschefs von MSF verunsicherte den Direktor. Er warf den Wachen einen finsteren Blick zu, um ihnen zu verstehen zu geben, dass sie es noch bitter bereuen würden, ihn aus dem Bett geholt zu haben. Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und atmete laut durch die Nase.
    »Wie lange wird das dauern?«, sagte er klein beigebend.
    »Das, Herr Direktor, hängt allein von Ihnen ab.«
    Sichtlich verärgert bedeutete er den bewaffneten Männern, das Tor zu öffnen. Jacques klopfte auf die Schulter des Fahrers und zeigte auf den Hof des Waisenhauses.
    »Drück aufs Gas, ehe er es sich anders überlegt.«
    »Die internationale Gemeinschaft?«, spöttelte Benjamin in seinem Rücken. »Sonst noch was … «
    Jacques zwinkerte ihm im Rückspiegel zu.
    »Wir sind drin, das ist doch die Hauptsache, oder?«
    Als sie ausstiegen, trug ein Wind, der zu schwach war, um sie zu erfrischen, den Geruch von Erdöl, den unsichtbare Ölbohrtürme freisetzten, zu ihnen. Benjamin betrachtete das große Holzkreuz, das wohl die Priester hier aufgestellt hatten und das, ganz offensichtlich, die einzige verbliebene Spur ihres Aufenthalts an diesem Ort war.
    Die Posten hatten wieder Stellung bei den Wachhäuschen bezogen, und als das hohe Tor geschlossen

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