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Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Titel: Die Unseligen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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oder Marihuana in Form. Doch andere, wie Jacques, schienen von Natur aus immun gegen die Folgen chronischen Schlafmangels zu sein.

10
    Benjamin drückte das Kleenex auf seine Nase, schniefte und bedeutete dem kleinen Nigerianer vor ihm, auf die Waage zu steigen.
    »Alles in Ordnung?«, erkundigte sich das Kind.
    Der Junge war höchstens fünf Jahre alt und zeigte ein verschmitztes Lächeln, bei dem einige Milchzähne fehlten.
    »Warum blutest du?«
    »Wegen der Sonne.«
    Der kleine Junge runzelte die Stirn und sah aus dem Fenster.
    »Aber es ist dunkel.«
    Benjamin lächelte und notierte das von der Nadel angezeigte Gewicht. Der Junge starrte ihn beharrlich an.
    »Was ist mit deinen Augen?«
    Der Arzt richtete sich auf, um ihm ins Gesicht zu sehen.
    »Sie haben nicht die gleiche Farbe.«
    »Bist du so geboren worden?«
    »Ja.«
    Diese Bestätigung stürzte den Jungen in tiefste Ratlosigkeit.
    »Bedeutet das, dein Vater hatte schwarze Augen und deine Mutter blaue Augen?«
    »Es ist ein bisschen schwieriger.«
    »Meine Mama hat grüne Augen.«
    Benjamin warf das Taschentuch weg und drückte mit der flachen Hand gegen den Rücken des kleinen Jungen, damit er sich gerade hielt.
    »Kopf hoch … « Er nahm das Maßband, um seine Größe zu messen. »Grüne Augen sind hübsch.«
    Der Junge zappelte herum, tanzte von einem Fuß auf den anderen und verzog das Gesicht.
    »Ich hab dich angelogen. Entschuldige«, sagte er mit niedergeschlagenen Augen. »Ich habe meine Mutter nie gesehen. Aber wenn eines Tages eine Frau meine Mama werden will, dann würde es mir gefallen, wenn sie ganz grüne Augen hat. Weil, grüne Augen sind cool.«
    Benjamin lächelte.
    »Wie heißt du, kleiner Mann?«
    »Jaro Nico Ukutrentiélé. Aber man nennt mich ›Pille‹.«
    »Warum ›Pille‹?«, fragte der Arzt, während er aufstand.
    »Weil man mir viele gibt«, sagte er und zuckte mit den Schultern, als wäre das die größte Selbstverständlichkeit.
    »Versuch, dich nicht zu bewegen. … Und warum gibt man dir so viele?«
    »Ich bin krank. Ich habe Mu … « Er verzog die Lippen, als er nach dem Wort suchte. »Ma … kovoskidase oder so etwas.«
    »Mukoviszidose?«
    »Mhm, genau.«
    Der Arzt legte das Maßband wieder hin und betrachtete ihn überrascht und traurig.
    »Tut dir das Atmen weh?«
    »Manchmal, wenn ich huste«, antwortete der Junge und sah sich geistesabwesend um.
    Als Pille sah, dass sich Benjamin hinsetzte, um seine Körpergröße auf einem Blatt zu notieren, richtete er seine Aufmerksamkeit auf den Arzt und verrenkte sich den Hals, um zu erkennen, was er schrieb.
    »Die Ärzte sagen, dass ich wegen meiner Krankheit kleiner bin als die anderen, stimmt das?«
    »Bei einer Mukoviszidose kommt es manchmal zu einer Verzögerung des Körperwachstums. Das heißt, dass einige Kinder etwas langsamer wachsen als die anderen. Aber in Anbetracht deiner jetzigen Größe kann ich dir versprechen, dass du genauso groß werden wirst wie die anderen.«
    Das Gesicht des Jungen hellte sich auf, als befinde er sich in einem Süßwarengeschäft und dürfe essen, was er wolle.
    »Echt? Genauso groß?«
    Benjamin legte seinen Kugelschreiber hin und zwinkerte ihm zu.
    »Echt. Ich bin fertig, kleiner Mann. Du kannst zurück in dein Bett.«
    »Tschüss, Doc.«
    »Tschüss, kleiner Mann.«
    Pille entfernte sich ein paar Schritte in Richtung einer Pflegerin und blieb stehen, ehe er plötzlich kehrtmachte.
    »Aber, weißt du, hier gibt’s Kinder, die sind viel mehr krank als ich … «, brach es aus ihm heraus. »Der da … «, er zeigte mit dem Finger auf einen Jungen, der zusammengekauert unter einem Fenster lag, » … hat Knochen, die ganz leicht brechen. Deshalb wollen wir nicht mit ihm spielen, verstehst du, weil er zum Schluss immer weint, und dann hat er überall Gips.«
    Benjamin verschlug es die Sprache. Von der Glasknochenkrankheit war ungefähr jedes Fünfzehntausendste Kind betroffen, von Mukoviszidose etwa jedes Achttausendste.
    »Und die da, siehst du?«, fuhr Pille fort, ganz begeistert darüber, die ungeteilte Aufmerksamkeit des Arztes zu haben, während er auf ein zwei- bis dreijähriges Mädchen im Rollstuhl zeigte. »Man sagt, dass ihre Muskeln wie Kieselsteine werden! Dann kann sie nicht mehr den Kopf drehen!«
    Jacques hatte aufgehört, die Kinder abzuhorchen, und hörte zu, was der Kleine erzählte.
    Benjamin beobachtete das kleine Mädchen auf dem Stuhl. Es gab nur eine genetische Erkrankung, die solche Symptome hervorrief: Die

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