Die Unseligen: Thriller (German Edition)
eine Wand, dass sie nicht schreien konnte. Er drückte seine Hand auf die Kehle der jungen Frau.
»Ich hatte Sie gewarnt: Wenn sie stirbt, sterben Sie auch. Beten Sie also … Beten Sie, dass ein gewöhnlicher Tierarzt Ihnen beiden das Leben rettet … «
»Sie müssen mir vertrauen«, beschwor sie ihn.
»Kein Krankenhaus. Das ist zu riskant.«
»Wenn sie stirbt, sterbe ich – das weiß ich. Aber Sie? Was wird aus Ihnen?«
Umaru Atocha starrte sie schweigend an, und ihr schien es, als würde er etwas betrachten, was jenseits von ihr, jenseits dieses Zimmers lag. Er schloss die Augen, als hinter ihm die Stimme des Tierarztes ertönte: »Ich kann nichts für sie tun … «
134
»Offiziell will die französische Regierung die Geiseln nicht befreien. Das könnte nämlich den diplomatischen Beziehungen schaden, die Frankreich mit Nigeria unterhält.«
»Sie meinen: den französischen Erdölinteressen?«, bemerkte Nicholas O. Ekkipetio lächelnd.
Benjamin nickte und zog an seiner Zigarette. Der Chefredakteur der Free Delta News legte die Füße auf den Tisch.
»Das ist überall in Afrika so, alles ist durch Wirtschaftsinteressen korrumpiert«, sagte er und streckte sich. »Um nur ein Beispiel aus dem Niger zu nehmen: Im Jahr 2007 standen die Vertragsverhandlungen zwischen dem französischen Konzern Areva und der Regierung des Niger vor dem Aus. Um die Wogen zu glätten, hat sich die französische Regierung daraufhin verpflichtet, der nigrischen Armee Aufklärungsfahrzeuge zu liefern und fünfunddreißig Radpanzer zu modernisieren, damit diese gegen die Tuareg-Rebellen kämpfen kann.« Er unterdrückte ein Gähnen. »Danach soll man mir nicht kommen und sagen, Françafrique sei tot … «
»Aus diesem Grund sind wir hier.«
»Okay. Aber da sind noch zwei oder drei Punkte, über die ich gern Klarheit hätte … Dieser Pater David, die zweite Geisel, soll also Yaru Aduasanbi die Sache mit Naïs, die seine eigene Tochter ist, gesteckt haben?«
»Ja, das glauben wir«, antwortete Benjamin. »Aber bevor er mit Aduasanbi redete, benachrichtigte er UNICEF . Wir haben vor unserer Abreise dort angerufen. Pater David hat UNICEF gesagt, wo sich das Waisenhaus befindet und auch, dass die dort untergebrachten Kinder krank und unterernährt sind. Das war 2005.«
»Aber warum hat er UNICEF benachrichtigt, ehe er die MEND informierte?«
Jacques stand auf.
»Haben Sie vielleicht was zu trinken?«
Der Chefredakteur deutete auf die Kochecke hinten im Raum.
»Im Eisschrank.« Er sah auf seine Uhr. »Spät genug, um einen zu heben: Bringen Sie ein paar Bier!«
»Pater David hat bestimmt gehofft, dass UNICEF herausfinden würde, was im Waisenhaus vor sich geht, und alles der Presse enthüllen würde.« Jacques durchquerte das Loft, ging vor der Kühlbox in die Hocke und klappte den Deckel auf.
»Aber Benjamin und ich wurden erst 2006 dorthin entsandt«, sagte er und hob den Kopf. »Pater David musste glauben, dass sich UNICEF keinen Deut um diese Waisenhausgeschichte scherte. Erst da hat er Yaru Aduasanbi alles erzählt.«
Nicholas O. Ekkipetio blieb nachdenklich und klopfte mit dem stumpfen Ende eines Bleistifts auf einen Zahn.
»Kurz und gut, er hat die MEND dazu angestiftet, das Mädchen zu entführen. Wozu?«
»Um zu verhindern, dass die Regierung das mutierte Gen entdeckt, das ihrer Krankheit zugrunde liegt. Und um sie zu verkaufen. Mit hundert Millionen Dollar lässt sich doch wohl eine Revolution finanzieren, oder nicht?«
Benjamin fing geschickt die Bierdose auf, die ihm Jacques zuwarf.
Er schob einen Fingernagel unter die Metalllasche.
»Doch Henry Okah hat Aduasanbi ausgebootet und diesen schönen Traum in Rauch aufgehen lassen … «
»Umaru Atocha ist hier in Port Harcourt«, erklärte der Chefredakteur unvermittelt.
»Sind Sie sicher?«
Der Journalist stand seinerseits auf und ging mit schlurfenden Schritten zu einem kleinen Safe, der versteckt unter einem Schreibtisch stand. Er streifte seine Hosenträger herunter und kniete sich vor dem Kombinationsschloss hin.
»Die Kassetten wurden in Umschlägen hinterlegt. Keine Briefmarke, kein Poststempel … «
»Vielleicht haben sie die Kassetten an jemanden geschickt, der sie seinerseits bei Ihnen abgegeben hat.«
»Daran habe ich auch gedacht«, sagte Nicholas O. Ekkipetio, während er wieder aufstand.
Er kam zurück und warf einen braunen Papierumschlag ohne Beschriftung auf den Tisch. Benjamin nahm ihn in die Hand und drehte ihn auf der Suche nach
Weitere Kostenlose Bücher