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Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Titel: Die Unseligen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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in einem Vorhangspalt ihr Gesicht wahrzunehmen, sie in der Menge an ihrem Gang zu erkennen, aber alles, was er sah, war eine weitverzweigte, riesige Stadt, in der sich jeder in ein Gespenst verwandeln konnte. Er drehte sich um, als Jacques den Hörer auflegte.
    »Noch immer nichts?«
    »Noch immer nichts.«
    Jacques, der auf der Matratze saß, fuhr sich mit der Hand durch die Haare und griff nach einer Schachtel Zigaretten auf dem Nachttisch. Er steckte eine Zigarette zwischen die Lippen und verharrte einige Sekunden lang reglos, ins Leere starrend.
    »Seine Sekretärin sagt, er wird uns zurückrufen, sobald er ins Büro kommt.«
    »Wir können noch immer damit rechnen … « Benjamin kramte in seinen Taschen und warf ihm ein Feuerzeug zu. »Auch wenn uns der Journalist vielleicht einen Bären aufgebunden hat. Der Anwalt von Henry Okah als Kontaktperson von Umaru, das ist ganz schön dick aufgetragen, oder?«
    »Ich stelle mir schon lange keine derartigen Fragen mehr«, seufzte Jacques. »Wir wissen, dass Okah nach Südafrika zurückgekehrt ist. Sein Anwalt hat seinen besten Mandanten verloren, und jetzt muss er bestimmt zusehen, wie er über die Runden kommt. Vermutlich hat ihm Atocha einen kleinen Anteil am Lösegeld versprochen.«
    »Du vergisst, dass Okah und Atocha Feinde sind.«
    Jacques streckte sich auf dem Bett aus und verschränkte die Hände im Nacken.
    »Na und?« Er knöpfte sein Hemd auf und flüsterte zu sich selbst: »Verdammte Hitze. Ein Anwalt schwört schließlich keine ewige Treue, oder?«
    Benjamin nickte nachdenklich, zog dann das Moskitonetz hinter sich zu und ging quer durch das Zimmer ins Bad. Die Neonröhre über dem Spiegel blinkte und verbreitete ein gelbes Licht, das genauso trübe war wie die Kacheln in der Dusche. Er steckte den Stöpsel in den Abfluss des Waschbeckens, öffnete den Kaltwasserhahn und wartete, ehe er den Kopf eintauchte.
    Er öffnete den Mund und schrie. Dann zog er den Kopf aus dem Wasser und betrachtete sein Spiegelbild. Was er sah, gefiel ihm gar nicht.
    Nach einem Handtuch greifend, fragte er sich, wie er so schnell hatte altern können. Er hob sein T-Shirt an und betrachtete die Spuren der Zeit, diese verschwommene, unabänderliche Kartografie, die nur sein Gedächtnis noch entziffern konnte. Seine Brustmuskulatur erschlaffte, sein Bauch rundete sich, die Haare auf seiner Brust waren grau und die Falten um seinen Mund tief. Seine Wut und seine Empörung hatten keine sichtbare Spur hinterlassen.
    Und vielleicht machte ihm das am meisten Angst, wenn er an seinen Tod dachte: zu wissen, dass er sein ganzes Leben lang wütend gewesen war. Die Menschen, die er gerettet hatte, waren sein einziges Vermächtnis, und in einigen Jahren würde das ebenfalls verschwinden. Nichts von dem, was er getan hatte, würde ihn überdauern.
    Das Klingeln des Telefons riss ihn jäh aus seinen Gedanken. Er machte die Badezimmertür auf.
    »Ich danke Ihnen, dass Sie mich zurückrufen«, sagte Jacques und zwinkerte Benjamin zu.
    Den Hörer zwischen Kopf und Hals eingeklemmt, öffnete er die Nachttischschublade und holte eine Bibel und einen Kuli hervor. Er riss die erste Seite heraus, um die Adresse darauf zu kritzeln.
    Benjamin näherte sich dem Bett. Über Jacques’ Schulter gebeugt, las er laut: »Babylone Club … 12 Elm Street … «
    »In einer halben Stunde? Ja, wir werden da sein«, sagte Jacques, bevor er auflegte.

137
    »Los, Beeilung! Wir wollen hier nicht die Nacht verbringen!«
    Zwei AK -47 wurden überprüft und in eine Decke eingewickelt. Die Söldner bildeten eine Kette zwischen der Küche und den auf der Straße abgestellten Pick-ups und reichten sich die Waffen weiter, um sie in den Kofferräumen und unter den Sitzbänken zu verstecken. Auf dem Küchentisch wurde etwa ein Dutzend Feuerwaffen vom Kaliber 38 bis zur 9-mm-Automatik zerlegt, wieder zusammengebaut und in aller Eile von einem der Männer Umarus geladen.
    Megan und Pater David, die in einer Ecke des Zimmers mit Handschellen gefesselt waren, beobachteten diese Choreografie und fragten sich, ob ihre Entführer das Krankenhaus stürmen wollten. Der Waffenexperte kaute am Filter seiner Zigarette und hob die Trommel eines Revolvers zu der Neonröhre an der Decke. Etwa zehn Sekunden lang überprüfte er das Lichtspiel im Innern der sechs Kammern, ehe er den Zylinder und den Rest der Waffe in den Müll warf.
    Umaru Atocha betrat das Zimmer. Er trug einen eleganten dunklen Anzug und hatte sich das Gesicht mit Make-up

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