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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pregel
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nichts mehr von ihm wissen und ihn am besten auch nie mehr wiedersehen.
    Von Champagner stieg ich auf Martini à la James Bond um, gerührt, nicht geschüttelt und mit öliger Olive im Glas. Mir wurde warm, ich knöpfte die obersten Knöpfe meines Hemds auf und krempelte die Ärmel hoch, dann stieß ich mich vom Tresen ab wie ein Schwimmer vom Startblock und tauchte endlich ein in die bunte Menge. Die schien nur auf mich gewartet zu haben, und binnen kürzester Zeit waren alle Warnungen meines Galeristen in den Wind geschossen. Bald schon ließ ich mich durch die Räume treiben und ließ ich mich über die ganze darin versammelte Kunst aus, was nichts anderes hieß, als dass ich die Arbeiten meiner Kollegen, von denen ich nicht einmal alle erkannte, ordentlich verunglimpfte. Nicht aus Boshaftigkeit, mehr zum Spaß, und die Leute um mich herum lachten auch kräftig. Ich war in meinem Element, und schließlich kannte jeder auf der Party meinen Namen. Und die Männer, die mit Männern Sex haben, wollten alle mit mir in die Kiste hüpfen.
    »Ich muss mal«, sagte ich ziemlich unvermittelt, als ich merkte, dass mir fast die Blase platzte, und selbst das fanden einige Leute noch witzig. Nur ein paar von den älteren Semestern oder die noch auf der Suche nach einer guten Partie waren, rümpften etwas die feine, nicht unbedingt mehr in allen Teilen originale Nase.
    »Soll ich dir den Weg zeigen«, bot sich mir ein älterer Herr mit gekonntem Flüstern an.
    Ich musterte ihn kurz, aber gründlich und entschied mich dann dagegen. »Danke, ich finde den Weg schon alleine.«
    Als ich von der Toilette zurückkam, die im Übrigen so aussah, als wäre dort vor nicht allzu langer Zeit erst eine kleine Nummer geschoben worden – auf dem Badewannenrand klebten ein paar vergessene Spermaspritzer –, fing mich sofort mein Galerist ab und grinste böse.
    »Du hast richtig Spaß, nicht wahr?«, fragte er in einem Tonfall, der all seine vorab geäußerten Befürchtungen zu bestätigen schien.
    »Ja. Warum auch nicht?«
    Er winkte ab, ich war und blieb eben unverbesserlich. »Komm mal kurz mit, ich muss dir jemanden vorstellen. Kein Freund, aber ein sehr guter Kunde, der ausnahmsweise nicht nur wirklich was von Kunst versteht, sondern auch Interesse an deinem Werk bekundet hat.«
    »Oh, toll! Das wird bestimmt gaaanz lustig.«
    »Hör auf, hier so rumzuzicken. Sein Name ist Klaus Brandstätter, und wenn sein Name nicht auf der Gästeliste gestanden hätte, dann hätte ich dich hier heute gar nicht hergebracht.«
    »Krämerseele.«
    Doch mein Galerist reagierte gar nicht auf diese Beleidigung, sondern sinnierte vor sich hin: »Ich befürchtete schon, er wäre doch nicht gekommen, weil ich ihn nirgends finden konnte. Aber jetzt habe ich ihn entdeckt, also sei jetzt mal für fünf Minuten ein braver Junge, komm kurz mit und mach ihm artig deine Aufwartung.«
    Er führte mich geradewegs in die Küche, die so perfekt ausgestattet war und unberührt geleckt aussah wie das Ausstellungsobjekt eines Möbelhauses.
    Hier hatte der Partyservice sein Basislager aufgeschlagen, von hier aus wurde das ebenfalls im Esszimmer befindliche Büfett wie aus einem unendlichen Füllhorn immer wieder aufgefüllt, sodass es stets so aussah, als ob noch gar nichts gegessen worden wäre. Hier sollten sich eigentlich keine Partygäste aufhalten, damit niemand den Aufwand sähe, den es kostete, eine perfekte Abendgesellschaft zu veranstalten. Doch im Laufe des Abends hatte sich hier eine kleine Gruppe von Leuten eingefunden, die den herumwuselnden Köchen und Kellnern eindeutig im Weg stand, an ihren Getränken nippte, sich ab und an gleich von der Quelle weg ungeniert ein Häppchen stibitzte und auf die unterdrückt verärgerten Blicke des Personals überhaupt nichts gab.
    Mit dem Rücken gegen den Kühlschrank gelehnt stand ein Mann in maßgeschneidertem Anzug, glatt rasiert und mit einem kurz geschorenen Haarkranz um den Kopf, der mit wohlartikulierter, nur ansatzweise hamburgisch eingefärbter Stimme etwas erzählte, wobei er hin und wieder eine sparsame Geste mit den Händen machte. Mein Galerist flüsterte mir zu, das sei Klaus Brandstätter, ich bekam es nur am Rande mit, so versunken war ich längst in seine distinguierte Haltung und bierernste Stimme. Er hatte mich noch nicht einmal bemerkt, und ich verspürte schon ein Kribbeln im Bauch.
    Er erzählte seinen Zuhörern absoluten Nonsens, tat dies aber im Habitus eines leichthin referierenden Professors, sodass

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