Die unsicherste aller Tageszeiten
mir gewesen bist.«
»Haha, guter Witz.«
»Das ist kein Witz, das ist mein voller Ernst.«
Ich drehte und wandte mich und erwiderte so, dass es selbst in meinen Ohren armselig klang: »Aber ich will ihm nicht wehtun. Das hat er nicht verdient.«
«Du wirst ihm wehtun müssen.«
»Aber ich will nicht.«
Doch Klaus wollte nicht von seiner Meinung lassen, und mir schwante auch, warum. Das machte mich nicht gerade glücklicher.
»Das lässt sich gar nicht mehr verhindern. Jetzt kommt es nur noch darauf an, wie gut oder schlecht du die Aufgabe löst, ob du ihm nur wehtun oder ihn richtig schwer verletzen wirst.«
»Klaus, das hilft mir jetzt nicht wirklich weiter.«
»Nicht? Hmm … Wie wäre es dann damit: Halte ihn nicht länger hin, wenn du so fest entschlossen bist, dich von ihm zu trennen, das ist nämlich gemein ihm gegenüber.«
»Na, schönen Dank auch.«
»Immer wieder gern.«
Ich konnte Klaus noch nicht einmal Vorwürfe machen, denn er hatte ja recht. Er hatte es noch nicht einmal in einem sarkastischen Tonfall gesagt, sondern voller Anteilnahme, und zwar ebenso für mich wie für Hannes. Ich war nur ein bisschen beleidigt, weil er nicht voll und ganz auf meiner Seite stand, sondern auch um Rücksicht für Hannes bat. Er kannte mich einfach zu gut, und wahrscheinlich ahnte er schon, dass ich mir seine Worte trotz allem nicht zu Herzen nehmen, sondern wie ein Elefant im Angesicht der Maus durch den Porzellanladen stürmen würde.
Als hätte er den beißenden Qualm der Kanonenschläge und das klägliche Wimmern der Verwundeten auf dem Schlachtfeld bis nach Hamburg gehört und gerochen, rief Klaus mich zwei Tage nach dem Ereignis an, um zu hören, wie es gelaufen war.
»Schlecht«, antwortete ich wahrheitsgemäß, nachdem ich mich endlich dazu durchgerungen hatte, den Hörer abzunehmen und es gleich jetzt hinter mich zu bringen. Er hätte ja sowieso nicht locker gelassen, und meistens belohnte Klaus mich dann hinterher mit ein paar Worten, die nicht nur abgeschmackte Phrasen waren, sondern echt tröstend.
»Was ist passiert?«, fragte er.
Ich druckste herum. »Ach, ich weiß doch auch nicht.«
»Es ist nicht so gelaufen, wie du dir das vorgestellt hast, und dann ist die Sache eskaliert?«
Ich hätte beinahe aufgelegt. Stattdessen begann ich zu erzählen.
Wenn er eine böse Vorahnung gehabt hatte, so wurde diese definitiv von seiner Freude und Erleichterung darüber, mich wiedersehen zu dürfen, komplett in den Hintergrund gedrängt. Hannes wäre mir ja beinahe schon am Telefon um den Hals gefallen, als ich ihn endlich anrief und für den Abend, ein Dienstag sogar, zu mir einlud. Natürlich hatte er Zeit, natürlich kam er gern, natürlich war er auf die Sekunde pünktlich. Er wollte sofort über mich herfallen, und es fehlte nicht viel, dass ich mitgemacht hätte, konnte mich aber im letzten Moment noch beherrschen, um es nicht noch schlimmer werden zu lassen. Anstatt im Schlafzimmer landeten wir auf dem Sofa in der Stube, ein ungewohnter Platz für uns beide, denn weder hatten wir hier bisher gemeinsam Zeit verbracht noch ich allein, der ich in meiner Wohnung hauptsächlich zwischen Küche, Bad, Atelier und Schlafzimmer pendle. Am liebsten hätte ich diese Sache sowieso an irgendeinem neutralen Ort durchgezogen, in einem öffentlichen Café zum Beispiel, wo wir uns beide hätten zusammenreißen müssen, der Sozialkontrolle sei Dank. Das wollte ich Hannes aber nicht antun, vor den glotzenden Augen der Geier wollte ich ihn dann doch beschützen. Außerdem war es nicht so schlimm, wenn er mir in meinen eigenen vier Wänden eine Szene machte.
Spätestens jetzt aber konnte auch Hannes sich des Gefühls nicht mehr erwehren, dass irgendetwas im Busch sei, und er setzte sich sofort ans andere Ende der Couch, mich aus großen, nach irgendeinem Zeichen suchenden Augen anstarrend. Das passte mir gar nicht, ich hatte eigentlich geplant, ihn, während ich ihm die Gründe für unsere Trennung geduldig und einleuchtend erklärte, tröstend im Arm zu halten, ihn sich an meiner Schulter ausweinen zu lassen, bis er die Kraft finden würde aufzustehen und zu gehen, stärker als zuvor womöglich. In meinem Kopf hatte ich in den letzten Tagen ein ganzes Drehbuch über den Ablauf dieser Unterredung geschrieben, ein perfektes Drehbuch, und er sprengte es bereits auf der ersten Seite, allein durch das Wo und Wie er sich hinsetzte. Mir wurde ganz kribbelig zumute, und ich begann, nervös auf meinem Hintern hin und her
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