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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pregel
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Schlimmste von allem ist jedoch, dass ich nicht auf mich selbst gehört habe. Ich hab mir immer wieder gesagt, das ist noch zu früh dafür, du musst vorsichtig sein. Aber ich wollte dir glauben. Ich wollte dir glauben, dass wir von nun an fest zusammen sind. Und deshalb habe ich meine Bedenken für mich gehalten, als wir irgendwann keine Gummis mehr hatten und du meintest, wir könnten es auch ganz gut ohne machen, schließlich wären wir jetzt ein Paar. Fremdgehen käme für dich ja sowieso nicht infrage, und du würdest regelmäßig den Test machen und das Ergebnis immer negativ ausfallen.«
    Dann sah er mich direkt an, und sein Blick spießte mich auf.
    »Mit wie vielen Typen hast du die Nummer schon abgezogen, hä? Ich bin doch bestimmt nicht der einzige Idiot hier gewesen!«
    »Mit niemandem! Das schwöre ich!«
    »Dein Geschwöre kannst du dir sonst wo hinstecken!«
    Doch damit war seine Widerstandskraft endgültig aufgebraucht. Endlich schniefte er, entrang sich seiner Brust ein tiefes, verzweifeltes Schluchzen, er schlug sich die Hände vor dem Gesicht zusammen, verbarg es in den hohlen Handflächen und wimmerte dahinter, sodass ich es kaum, aber eben leider doch verstehen konnte:
    »Und jetzt muss ich den Test machen. Und ich habe Angst davor, solche Angst.«
    Dann rannte er tatsächlich davon.
    Das ist fünf Tage her; und was ist, wenn ich nach Hause komme und er steht schon mit dem positiven Testergebnis vor meiner Tür?
    Klaus konnte ich das einfach nicht erzählen – und er verschonte mich glücklicherweise mit einer Standpauke. Stattdessen bot er mir an, für ein paar Tage zu ihm nach Hamburg zu kommen, um etwas Abstand zu gewinnen. Ich lehnte wegen meiner laufenden Arbeit ab, dabei hatte ich seit Dienstag keinen einzigen Pinselstrich mehr getan. Ich fühlte mich gelähmt, als hätte mich der Schlag getroffen. Aber kaum hatten wir aufgelegt, kam mir zum ersten Mal die Idee, nach Föhr zu fahren, für ein paar Tage, Wochen, Monate, Jahre, eben bis alles wieder gut sein würde. Oder selbst zum Arzt zu gehen und Klarheit zu erlangen. Aber wie üblich setzte sich erst einmal der Fluchtinstinkt durch.

KAPITEL 8
    Hallo, Sie da?«, erschreckt mich plötzlich eine kratzbürstige Frauenstimme, die das Zetern gewohnt ist. »Wir sind da, Sie müssen aussteigen.«
    Verdutzt blicke ich aus dem Fenster, in der Tat, draußen liegt, noch ebenso grau und trist wie gestern, Dagebüll im Regen. Fast alle anderen Passagiere sind schon von Bord gegangen, nur ich sitze noch hier herum und starre wie blöd vor mich hin. Ich greife mir Jacke, Tuch und Tasche, ziehe mich einigermaßen ordentlich an und stürme vom Schiff.
    Ich laufe durch den Regen zum kleinen Bahnhof, der auf den ersten Blick so aussieht, als wäre er sonntags grundsätzlich geschlossen, und muss erfahren, dass der nächste Zug Richtung Hamburg erst in vierzig Minuten abfährt. Ein Schalter ist auch nicht offen, ich muss mir also meine Fahrkarte am Automaten ziehen. Dabei hasse ich diese Maschinen, sie denken noch weniger mit als das Schalterpersonal. Ich kaufe mir also eine einfache Fahrkarte erster Klasse nach Berlin und verzichte gleich auf den Versuch einer Reservierung: Es ist mir egal, wie ich nach Berlin zurückkomme, Hauptsache, es geht einigermaßen schnell. Wenigstens muss ich sie vermutlich nicht mit dem ganzen blöden Menschenpöbel in einem Waggon verbringen, sondern darf wegen des in diese Richtung schwächeren Reiseverkehrs in der Obhut meiner durch Geld privilegierten Brüder und Schwestern sitzen – obwohl die in der Regel auch allesamt nur Idioten sind.
    Doch was mache ich bis dahin? Durch den Regen laufen? Um mich noch stärker zu erkälten? Inzwischen kratzt mein Hals in einer Tour, meine Nase sondert dauerhaft diese ganz flüssige Schnodder ab, wie sie typisch ist sowohl für den Beginn als auch die letzten Zuckungen eines Schnupfens, und gefühlt alle fünf Minuten erschüttert mich ein doppeltes Hatschi. Außerdem baut sich hinter meinen Schläfen ein ungutes Druckgefühl auf, Kopfschmerz versprechend.
    Von der Ruhe und der guten, ausgeglichenen Stimmung, die mir noch das Frühstück versüßt hat, ist nichts mehr übrig, wenn ich könnte, ich würde sogar den ganzen Weg bis nach Berlin laufen, nur um etwas zu tun zu haben. Stattdessen zwinge ich mich dazu, auf einer Bank auf dem für mich ausgewiesenen Bahnsteig Platz zu nehmen und einfach nur zu warten. Es ist kalt, ich friere, aber nicht deshalb zapple ich unentwegt auf meinem

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