Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
vor, das übertrieben Prätentiöse ihrer fünften Position, die ruckartige Präzision ihres port de bras ; dann neigte er Klaras Hände in einen kindlicheren Winkel, ließ sie in einer entspannteren fünften stehen, fasste sie bei den Handgelenken und leitete sie durch die Positionen wie durch Wasser. So sollte eine Tänzerin aussehen, so sollte sie sich bewegen. Er könne es ihr beibringen, und wenn sie sich bewies, würde sie einen Platz im Königlichen Ballett erhalten.
Klaras Mutter, die durch eine Laune des Schicksals und der Liebe aus der ländlichen Vergessenheit von Kaba gerettet worden und inmitten der höchsten jüdischen Gesellschaftskreise in Budapest geraten war, wäre nie auf die Idee gekommen, dass ihre Tochter einst eine professionelle Tänzerin werden könnte; sie hatte sich für ihre Kinder ein Leben voller Behaglichkeit und Komfort vorgestellt. Selbstverständlich ging Klara zur Ballettschule, Anmut war schließlich eine unerlässliche Eigenschaft junger Damen ihrer gesellschaftlichen Stellung. Doch eine Laufbahn als Ballerina kam nicht infrage. Frau Hász dankte Romankow für sein Interesse und wünschte ihm alles Gute bei seiner neuen Arbeit an der Königlichen Ballettschule; sie würde am Abend mit Klaras Vater sprechen. Kaum hatte sie ihn davongeschickt, ging sie mit Klara nach oben ins Kinderzimmer und erklärte ihrer Tochter, warum sie nicht bei dem netten Russen tanzen lernen könne. Ballett sei eine nette Freizeitbeschäftigung für ein Kind, aber nichts, das man gegen Bezahlung vor einem Publikum tat. Berufstänzer führten ein Leben voll Armut und Entbehrungen. Sie heirateten nur selten, und wenn, dann nahm ihre Ehe ein unglückliches Ende. Wenn Klara erwachsen sei, würde sie Ehefrau und Mutter sein. Wenn sie tanzen wolle, könne sie Bälle für ihre Freunde geben, so wie ihre Anya und ihr Apa das taten.
Klara nickte und war einverstanden, weil sie ihre Mutter liebte. Doch mit ihren neun Jahren wusste sie bereits, dass sie Tänzerin werden wollte. Sie wusste es, seitdem ihr Bruder sie mit fünf Jahren ins Operaház ausgeführt hatte, wo sie sich La Cendrillon ansahen. Als das Kindermädchen Klara in der nächsten Woche zu einer Übungsstunde in der Schule an der Wesselényi utca absetzte, lief die Kleine zu Fuß die sieben Querstraßen zur Königlichen Ballettschule auf der Andrássy út und fragte eine der Tänzerinnen dort, wo sie den großen Mann mit dem roten Bart finden könne. Das Mädchen brachte sie zu einem Studio am Ende des Ganges, wo Romankow sich gerade auf eine Anfängerstunde vorbereitete. Er wirkte alles andere als überrascht, Klara zu sehen; zwischen zwei anderen Kindern machte er ihr Platz an der Stange und führte seine Schüler in seinem russisch gefärbten Bariton durch eine Reihe schwieriger Übungen. Am Ende der Stunde kehrte Klara rechtzeitig zur anderen Ballettschule zurück, um von ihrem Kindermädchen abgeholt zu werden, dem gegenüber sie nichts von ihrem Abenteuer erwähnte. Es dauerte drei Wochen, bis Klaras Eltern entdeckten, dass ihre Tochter der Schule auf der Wesselényi utca den Rücken gekehrt hatte. Da war es bereits zu spät: Klara war Feuer und Flamme für Romankow und die Königliche Ballettschule. Ihr nachsichtiger Vater überredete die Mutter, es drohe keine Gefahr, dass ihre Tochter tatsächlich auf der Bühne ende; die neue Schule sei lediglich eine strengere Version von der, die sie bisher besucht hätte. Er habe sich über Romankows berufliche Vergangenheit erkundigt, und es bestehe kein Zweifel, dass der Mann ein außerordentlich begabter Lehrer sei. Dass seine Tochter bei jenem berühmten Ballettmeister lernen durfte, war eine Ehre, die Tamás Hász’ bürgerlichen Stolz schürte.
Unter den zwanzig Kindern in der Anfängerklasse der Königlichen Ballettschule waren siebzehn Mädchen und drei Jungen. Einer der Jungen war ein großes dunkelhaariges Kind namens Sándor Goldstein. Der Tischlersohn war ständig vom Geruch frisch gehobelten Holzes umgeben. Romankow hatte Sándor Goldstein nicht in einer Ballettschule, sondern im Freibad am Palatinusstrand entdeckt, wo er mit einer Gruppe von Freunden akrobatische Sprünge vollführte. Mit seinen elf Jahren beherrschte er einen Handstand auf der Sprungbrettkante, von der er sich geschmeidig abdrückte und dann einen Rückwärtssalto machte, sodass er mit dem Kopf zuerst ins Wasser eintauchte. In der Schule hatte er dreimal nacheinander die Medaille im Turnen gewonnen. Als Romankow dem Jungen
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