Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
tun, was er für richtig halte. Der Minister reichte das Problem an einen Staatssekretär namens Madarász weiter, der für seinen Ehrgeiz und seine eindeutige Meinung zu Juden bekannt war. Und Madarász fackelte nicht lange. Zuerst untersagte er dem zuständigen Amt, den beiden Tänzern Ausreisegenehmigungen zu erteilen. Dann bestimmte er zwei Polizisten, bekanntermaßen in rechtsradikalen Kreisen engagiert, die das Kommen und Gehen der Tänzer regelmäßig überwachen sollten. Klara und Sándor kamen nie auf die Idee, dass die Polizisten, die sie jeden Abend auf dem Heimweg sahen, etwas mit den Schwierigkeiten bei der Visumvergabe zu tun haben könnten; die Männer schienen sie kaum zu beachten, meistens stritten sie miteinander. Sie waren ausnahmslos betrunken: Unablässig reichten sie eine Feldflasche hin und her. Egal wie lange Klara und Sándor im Operaház blieben – manchmal bis halb eins oder ein Uhr, weil das Theater der einzige Ort war, wo sie allein sein konnten –, die beiden Polizisten waren immer da. Nachdem Sándor eine gute Woche lang den Streitigkeiten gelauscht hatte, kannte er ihre Namen: Lajos war der große mit dem kantigen Kinn; Gáspár der andere, der wie eine Bulldogge aussah. Sándor gewöhnte sich an, den beiden grüßend zuzuwinken. Die Polizisten winkten natürlich nie zurück; sie blickten starr geradeaus, wenn Klara und Sándor vorbeigingen.
Ein Monat verstrich, und die Männer waren immer noch da, ihre Anwesenheit blieb mysteriös. Mittlerweile gehörten sie für Sándor und Klara zum Viertel, zum Alltag. So hätte es ewig weitergehen können, zumindest so lange, bis das Kulturministerium das Interesse verloren hätte, wenn die Beamten nicht vorher selbst ihrer endlosen Überwachung müde geworden wären. Langeweile und Alkohol machten ihnen das Schweigen zur Qual. Sie begannen, Klara und Sándor anzupöbeln. Hallo, ihr Turteltauben! Hallo, ihr Süßen! Wie schmeckt sie denn? Dürfen wir auch mal? Haben Tänzer da unten eigentlich auch was hängen? Weiß er überhaupt, was er damit tun muss, Kleine? Dann nahm Sándor Klaras Arm und führte sie weiter, doch sie spürte, wie er vor Wut bebte, während der Spott der Männer sie die Straße hinunterverfolgte.
Eines Nachts kam der Polizist namens Gáspár in einer menschenleeren Gasse auf sie zu, er roch nach Zigaretten und Schnaps. Klara konnte sich an den Gedanken erinnern, dass der Lederriemen über seiner Brust wie die Art von Gürtel aussah, mit denen Lehrer in der Schule aufsässige Kinder züchtigten. Er nahm den Schlagstock aus der Schlaufe an seiner Seite und pochte damit gegen sein Bein.
»Worauf wartest du noch?«, stachelte ihn sein Kollege Lajos an.
Gáspár schob den Schlagstock unter den Saum von Klaras Kleid und hob es mit einer schnellen Bewegung hoch.
»Bitte sehr«, rief Gáspár Lajos zu. »Jetzt hast du’s gesehen.«
Bevor Klara wusste, wie ihr geschah, stürzte Sándor vor, packte den Stock und versuchte, ihn dem Beamten zu entwinden – doch der hielt fest. Sándor trat dem Mann gegen das Knie. Der heulte vor Schmerz auf, riss den Schlagstock hoch und traf Sándor am Kopf. Der Junge fiel auf die Knie. Schützend hob er die Arme vors Gesicht, und Gáspár trat ihm mehrmals in den Bauch. Einen Augenblick lang war Klara vor Schreck wie gelähmt; sie verstand nicht, was vor sich ging. Sie schrie den Mann an, er solle aufhören, versuchte, ihn von Sándor wegzuziehen. Doch sein Kollege Lajos packte sie am Arm und zerrte sie mit sich fort in eine dunkle Sackgasse. Dort drückte er sie auf die Pflastersteine, schob ihr den Rock bis zur Taille hoch. Er stopfte ihr sein Taschentuch in den Mund, hielt ihr eine Pistole unters Kinn und tat das, was er tat.
Der reißende Schmerz brachte Klara wieder zur Besinnung. Sie tastete mit den Fingern über den Boden, suchte das, was dort liegen musste: der Schlagstock, kalt und glatt auf dem Kopfsteinpflaster. Der Polizist hatte ihn fallen lassen, als er sich die Hose aufknöpfte. Klara schloss die Finger darum und schlug dem Mann damit gegen die Schläfe. Als er aufschrie und mit der Hand nach der Platzwunde tastete, sprang sie auf und trat ihm mit voller Wucht gegen die Brust. Er kippte zur Seite, schlug mit dem Kopf auf eine Türschwelle und verstummte. In dem Moment ertönte aus der Gasse, wo Sándor und der andere Polizist miteinander rangen, ein durchdringender Knall. Das Geräusch flog in Klaras Kopf und explodierte in alle Richtungen.
Dann schreckliche Stille.
Klara
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