Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
mit der Klara und Sándor in Verbindung ständen. Dreimal im vergangenen Monat hätten die Tänzer die Zentrale der Organisation auf der Dohány utca besucht; unwichtig, dass sie dort sonntagabends zum Tanz gewesen waren, nicht um den Mord an einem Polizeibeamten zu planen. Dass Klara untergetaucht war, wurde als Schuldeingeständnis bewertet, als Indiz, dass sie ein Instrument in der Hand von Gesher Zahav war. Die Nachricht verbreitete sich in der ganzen Stadt; jede Zeitung in Budapest brachte auf der ersten Seite einen Artikel über die junge jüdische Tänzerin, die einen Kriegshelden ermordet hatte. Das machte den Hoffnungen von Klaras Eltern, sie heimholen zu können, ein Ende. Sie könnten von Glück sagen, schrieb der Anwalt ihres Vaters, dass es ihnen noch gelungen war, sie außer Landes zu schaffen. Wäre sie geblieben, hätte es ein zweites Blutbad gegeben.
In den ersten beiden Monaten bei Madame Newitskaja lag Klara in einem winzigen dunklen Zimmer, das auf einen Luftschacht ging. Jede schlechte Nachricht aus Budapest schien sie tiefer hinunter auf den Grund eines Brunnens zu ziehen. Sie konnte nicht schlafen, konnte nicht essen, konnte es nicht ertragen, berührt zu werden. Sándor war tot. Nie würde sie ihre Eltern oder ihren Bruder wiedersehen. Nie nach Budapest zurückkehren. Nie mehr an einem Ort leben, wo alle Menschen auf der Straße Ungarisch sprachen. Nie mehr würde sie im Városliget eislaufen oder auf der Bühne des Operaház tanzen, nie wieder ihre Freundinnen aus der Schule sehen oder ein Hörnchen mit Maronencreme essen, wenn sie auf der Margareteninsel am Donauufer entlangging. Niemals würde sie die Gegenstände in ihrem Zimmer wiedersehen, ihre ledergebundenen Tagebücher, die Herend-Vasen und bestickten Kissen, ihre Matrjoschka-Puppen, ihre kleine Menagerie aus Glastieren. Selbst ihren Namen hatte sie verloren, sie würde nie wieder Klara Hász sein; von nun an war sie Claire Morgenstern, ein Name, den ein Anwalt für sie bestimmt hatte. Wenn sie morgens erwachte, musste sie sich der Erkenntnis stellen, dass es wirklich geschehen war, dass sie hier bei Madame Newitskaja als Flüchtling in Frankreich lebte. Offenbar machte das alles sie körperlich krank. Die ersten Stunden jedes Tages verbrachte sie über dem Waschbecken, würgte und erbrach sich. Sobald sie sich aufrichtete, glaubte sie, ohnmächtig zu werden. Eines Morgens kam Madame Newitskaja in Klaras Zimmer und stellte ihr eine Reihe geheimnisvoller Fragen. Ob ihre Brüste schmerzten? Ob ihr beim Geruch von Essen übel werde? Wann sie zum letzten Mal geblutet habe? Später an jenem Tag kam ein Arzt und führte eine schmerzhafte, demütigende Untersuchung durch, nach der er bestätigte, was Madame Newitskaja vermutet hatte: Klara war schwanger.
Drei Tage lang konnte sie nichts anderes tun, als den Streifen Himmel anzustarren, den sie von ihrem Bett aus sehen konnte. Wolken huschten darüber hinweg; ein V brauner Vögel flog hindurch; am Abend verdunkelte er sich zu Indigo und füllte sich dann mit der golddurchwirkten schwarzen Pariser Nacht. Klara schaute hinauf, wenn Newitskajas Hausmädchen Mascha sie mit Hühnerbrühe fütterte und ihr den Schweiß von der Stirn tupfte. Sie schaute hinauf, als die Newitskaja ihr erklärte, Klara müsse nicht zwangsläufig die Qual durchstehen, das Kind jenes Mannes auszutragen. Der Arzt könne eine schlichte Operation durchführen, nach der Klara nicht mehr schwanger sei. Als Madame Newitskaja sie allein ließ, um über ihr Schicksal nachzudenken, schaute Klara unablässig zu diesem wechselhaften Streifen Himmel hinauf und konnte kaum begreifen, was ihr widerfahren war. Schwanger. Eine schlichte Operation. Aber Madame Newitskaja war nicht in alles eingeweiht; seit sechs Monaten waren Klara und Sándor ein Liebespaar gewesen. Noch am Abend des Überfalls hatten sie sich geliebt. Sie hatten Vorkehrungen getroffen, aber Klara wusste, dass diese Vorsichtsmaßnahmen nicht immer funktionierten. Wenn sie schwanger war, konnte das Kind genauso gut von Sándor sein.
Die Vermutung reichte, um sie aus dem Bett zu treiben. Sie erzählte Madame Newitskaja, dass sie die Operation nicht durchführen lassen würde, und nannte ihr den Grund. Madame Newitskaja, eine strenge fünfzigjährige Frau mit glänzendem Haar, nahm Klara in die Arme und begann zu weinen; sie sagte, sie verstehe das Mädchen und würde nicht versuchen, ihm den Entschluss auszureden. Klaras Eltern, informiert über die Schwangerschaft
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