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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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bilden. Er ist einer unserer Besten.«
    »Von ihm war es unklug«, sagte Andras. »Er hat mich gewählt.«
    »Darf ich?«, fragte Vago. Er nahm Andras’ Skizzenbuch und schaute die Entwürfe durch; bei den Zeichnungen des Schwimmbereichs mit dem einziehbaren Dach hielt er inne. Er blätterte zum Becken mit geöffnetem Dach um und wieder zurück zu der Skizze desselben Raumes mit geschlossener Decke.
    »Das wird alles hydraulisch gemacht«, erklärte Andras und zeigte auf die Kammer, in der die Technik untergebracht war. »Die Platten sind gebogen und überschneiden sich hier am Rand, so sind sie vor jeder Witterung geschützt.« Er hielt inne und biss in das Ende seines Zeichenstifts, gespannt, Vagos Meinung zu hören. Der Entwurf war gleichermaßen inspiriert von Forestiers chamäleonartigen Bühnenbildern wie von Lemains windschnittigen Bauten.
    »Das ist gute Arbeit«, sagte Vago. »Sie machen Ihren Mentoren alle Ehre. Aber warum trödeln Sie hier mitten in der Nacht herum? Wenn Sie schon um drei Uhr früh in die Schule gehen, sollten Sie wenigstens arbeiten.«
    »Ich kann mich nicht konzentrieren«, sagte Andras. »Alles bricht zusammen. Sehen Sie mal hier!« Er holte eine Zeitung aus seiner Schultasche und schob sie Vago über den Tisch zu. Auf der Titelseite war ein Foto von jüdischen Studenten, die sich vor den Toren der Universität Prag versammelt hatten; sie waren kurzerhand exmatrikuliert worden, der Eintritt wurde ihnen verwehrt. Vago nahm die Zeitung in die Hand und betrachtete das Bild, dann ließ er sie wieder auf die Werkbank fallen.
    » Sie gehen noch zum Unterricht«, sagte er. »Erledigen Sie nun Ihre Arbeit?«
    »Ich will ja«, sagte Andras.
    »Dann tun Sie es auch.«
    »Aber ich habe das Gefühl, ich müsste mehr tun, als einfach nur Gebäude zeichnen. Ich möchte nach Prag gehen und auch auf der Straße marschieren.«
    Vago zog einen Hocker heran und setzte sich. Er nahm seinen langen Seidenschal ab und faltete ihn auf den Knien zusammen. »Hören Sie mal gut zu«, sagte er. »Diese Schweine in Berlin können sich zum Teufel scheren. Hier in Paris können sie niemanden von der Schule werfen. Sie sind ein Künstler, und Sie brauchen Übung.«
    »Aber eine Sporthalle«, sagte Andras. »In diesen Zeiten!«
    »In diesen Zeiten ist alles politisch«, gab Vago zurück. »Unsere ungarischen Landsleute ließen ’36 keine jüdischen Sportler an den Start, obwohl sie in der Qualifikation bessere Zeiten hatten als die Medaillengewinner. Aber Sie sind hier, Sie entwerfen als jüdischer Architekturstudent eine Sportstätte, die in einem Land gebaut werden soll, in dem sich Juden immer noch für die Olympischen Spiele qualifizieren können.«
    »Im Moment jedenfalls.«
    »Wieso: im Moment?«
    »Es ist meiner Aufmerksamkeit nicht entgangen, dass Daladier von Ribbentrop hergeholt hat, um einen Freundschaftsvertrag zu unterzeichnen. Und wussten Sie, dass nur die – in Anführungszeichen – arischen Kabinettsmitglieder von Bonnet zum anschließenden Bankett eingeladen wurden? Raten Sie mal, wer nicht dabei war! Jean Zay. Georges Mandel. Beides Juden.«
    »Ich habe von dem Essen gehört – wer da war und wer nicht. Es ist nicht ganz so einfach, wie Sie es darstellen. Mehrere, die eingeladen wurden, gingen aus Protest nicht hin.«
    »Aber Zay und Mandel wurden eben nicht eingeladen. Darum geht es mir.« Andras öffnete sein Kästchen und holte einen Bleistift und das Messer heraus. »Bei allem Respekt«, sagte er, »für Sie ist es einfach, darüber zu theoretisieren. Das sind ja nicht Ihre Leute vor dem Universitätstor.«
    »Es sind Menschen«, sagte Vago. »Das reicht. Es ist eine Schande für die Menschheit, dieser Judenhass, der sich als Nationalismus tarnt. Er ist eine Krankheit. Jeden Tag, seit diese kleinen Faschisten Polaner überfallen haben, muss ich daran denken.«
    »Und das ist der Schluss, zu dem Sie gekommen sind?«, fragte Andras. »Dass wir uns anstrengen und weitermachen sollen?«
    »Polaner hat es getan«, sagte Vago. »Und Sie sollten es auch tun.«
18. März 1939
Konyár
Mein lieber Andras,
Du kannst Dir bestimmt vorstellen, was Deine Mutter und ich über das Schicksal der Tschechoslowakei denken. Der Raub des Sudetenlandes war schon Unrecht genug. Aber jetzt zu sehen, wie Hitler die Slowakei entmachtet und dann ungehindert in Prag einmarschiert! Jene Straßen, auf denen ich meine Studentenzeit verbrachte, jetzt voller Nazi-Soldaten! Vielleicht war es naiv von mir, nicht damit zu

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